Die Päpstin
Mitte des größten Tisches – bereits zur Hälfte
verzehrt, aber noch immer zu erkennen – lag der gewaltige Kopf eines gebratenen Ochsen in einer Pfütze aus Fett und Saucen.
Außerdem gab es Fleischbrühe, Pasteten, Gemüsesuppen, Walnüsse, Feigen, Datteln, weißen und roten Konfekt, Kuchen, Gebäck
und andere Süßigkeiten, die Johanna nicht kannte. Noch nie im Leben hatte sie so viele Speisen an ein und demselben Ort gesehen.
»Ein Lied! Ein Lied!« Zinnbecher wurden rhythmisch und beharrlich auf die Tischplatten gehämmert. »Na los, Widukind, ein Lied!«
Ein hochgewachsener, hellhäutiger junger Mann wurde von seinen Nachbarn aufmunternd angestoßen und erhob sich lachend.
»Ik gihorta dat seggen
dat sih urhettun aenon moutin,
Hiltibrant enti Hadubrant …«
Johanna war erstaunt. Der junge Mann sang sein Lied auf Theodisk, der Sprache des gemeinen Volkes – der Dorfpriester hätte
sie als ›Sprache der Heiden‹ bezeichnet -, und nicht auf Latein.
»Ich hörte sagen,
daß sich die Herausforderer einzeln trafen,
Hildebrand und Hadubrand,
zwischen zwei beiden Heeren …«
Die Männer erhoben sich, fielen ein und hielten ihre Becher in die Höhe.
»… Sohn und Vater sahen nach ihrem Panzer,
schlossen ihr Kettenhemd, gürteten ihr Schwert
über ihre Brünnenringe, die beiden Helden,
als sie zum Kampf anritten …«
|111| Ein seltsames Lied für die Tafel eines Bischofs! Johanna blickte verstohlen auf Johannes; der aber hörte gespannt zu, und
seine Augen strahlten vor Erregung.
Mit einem donnernden Jubelschrei beendeten die Männer das Lied. Laut rumpelte und scharrte Holz über den Fußboden, als die
Feiernden mit den Stühlen wieder an die langen, aus Brettern gezimmerten Tische rückten.
Mit einem verschmitzten Lächeln erhob sich nun ein anderer Mann. »Ich habe gehört«, rief er mit lauter Stimme, »wie sich in
einer Ecke des Saales etwas aufrichtete, und … na?« Erwartungsvoll hielt er inne.
»Jawohl! Ein Rätsel!« brüllte jemand, und die Menge grölte beifällig. »Stelle uns ein Rätsel, Haido! Ja! Laß es uns hören!«
Der Mann namens Haido wartete, bis der Lärm verebbt war.
»Ich habe gehört, wie sich in einer Ecke des Saales etwas aufrichtete«, wiederholte er dann und fuhr fort: »Größer wurde es,
und es schwoll an, und feucht war’s. Die stolze Maid ergreift dies knochenlose Wunder mit den Händen …«
Wissendes Kichern erhob sich unter den Gästen.
»… und streichelt es zärtlich und knetet es sanft, auf daß es weiter wachse und größer werde und ihr Lust und Freude bereite.«
Haidos Augen blitzten vor Vergnügen, als er den Blick durch den Saal schweifen ließ. »Was ist das?«
»Guck dir zwischen die Beine!« rief jemand. »Dann findest du die Antwort. Auch wenn sie bestimmt ein wenig dürftiger ausfällt,
als du es dir erhofft hast!« Diesem Zwischenruf folgten donnerndes Gelächter und ein Hagel verschiedenster obszöner Gesten
von fast allen Tischen. Johanna beobachtete das Treiben fassungslos.
Das
war die Residenz des
Bischofs
?
»Falsch!« rief Haido fröhlich in den Saal. »Es ist nicht, was ihr alle meint!«
»Dann sag uns die richtige Antwort! Die Antwort! Die Antwort!« Wieder riefen die Gäste an den Tischen rhythmisch und hämmerten
dazu mit ihren Trinkbechern im Takt.
Haido wartete einen Augenblick, um die Spannung zu erhöhen.
»Es ist Hefeteig!« rief er dann triumphierend und setzte sich, während eine weitere Woge Gelächter durch den Saal brandete.
Als das Lachen allmählich verebbte, sagte der Kammerherr zu den Geschwistern: »Kommt mit.« Dann führte er Johanna |112| und ihren Bruder auf die gegenüberliegende Seite des Saales, wo auf einem Podium die Speisetafel des Bischofs stand. Der Bischof
saß auf einem reich bestickten Sitzkissen in der Mitte, immer noch kichernd. Er war in kostbare Seide gekleidet, die jedoch
mit Fettspritzern und Weintropfen gesprenkelt war.
Bischof Fulgentius sah ganz anders aus, als Johanna ihn sich vorgestellt hatte. Er war ein großer, stiernackiger Mann; die
Haare auf seiner dicken Brust und die massigen, muskulösen Schultern schimmerten durch seinen dünnen Seidenumhang. Er hatte
den gewaltigen Schmerbauch und das gerötete Gesicht eines Mannes, der mit leidenschaftlicher Freude dem Wein und dem Essen
zusprach. Als Johanna und Johannes näher kamen, beugte der Bischof sich zur Seite und hielt ein blutrotes Stück Konfekt an
die Lippen einer drallen Frau, die
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