Die Päpstin
zu imponieren.«
Das war zuviel. Zuerst beleidigte dieser abscheuliche Mann sie, und jetzt wagte er es auch noch, Aeskulapius anzugreifen!
Johanna setzte bereits zu einer heftigen Erwiderung an, als sie den mitleidigen und zugleich warnenden Blick eines rothaarigen
Ritters auffing, der neben dem Bischof saß.
Tu’s nicht
, gab der Mann ihr ohne Worte zu verstehen. Johanna zögerte. Sie war verdutzt, diese Botschaft in den tiefblauen Augen des
Ritters so deutlich gelesen zu haben. Er wandte sich dem Bischof zu und flüsterte ihm irgend etwas ins Ohr. Der Bischof nickte,
beugte sich vor und sagte zu dem schmalgesichtigen Mann: »Also gut, Odo. Stellt sie auf die Probe.«
»Eminenz?«
»Stellt das Mädchen auf die Probe. Findet heraus, ob sie für den Unterricht an der Domschule geeignet ist.«
»
Hier
, Eminenz? Das scheint mir nicht der angemessene Ort und die richtige Zeit zu …«
»Hier und jetzt, Odo. Was spricht dagegen? Wir alle werden von diesem Beispiel der Gelehrsamkeit profitieren.«
Der Mann namens Odo runzelte die Stirn. Er wandte sich Johanna zu. Sein schmales Gesicht zielte wie eine Axt auf sie.
»
Quincunque vult.
Was bedeutet das?«
Johanna war erstaunt. Eine so leichte Frage? Vielleicht war |115| es eine Falle. Genau! Wahrscheinlich versuchte dieser Mann, sie in Sicherheit zu wiegen, um dann erbarmungslos zuzuschlagen.
Vorsichtig erwiderte sie: »Das ist der Lehrsatz, der besagt, daß die drei Personen der Dreifaltigkeit kosubstantiell sind.
Die Zweinaturenlehre. Daß Jesus Christus so vollkommen göttlich ist, wie er vollkommen menschlich gewesen ist.«
»Woher stammt dieser Lehrsatz?«
»Er wurde auf dem ersten Konzil in Nicäa aufgestellt.«
»
Confessio Fidei.
Was ist das?«
»Das ist der falsche und schädliche Lehrsatz« – Johanna wußte, was sie sagen mußte; Aeskulapius hatte sie in dieser Frage
ausdrücklich zur Vorsicht gemahnt –, »der besagt, daß Christus vor allem ein menschliches Wesen war, und erst in zweiter Linie
göttlicher Natur. Wobei die Göttlichkeit Christi wiederum dadurch entstanden sein soll, daß er von seinem Vater adoptiert
wurde.« Sie betrachtete Odos Gesicht, doch es war nichts darin zu lesen.
»Filius non proprius, sed adoptivus«
, fügte Johanna sicherheitshalber hinzu.
»Erkläre uns, weshalb das eine Irrlehre und Häresie ist.«
»Wenn Jesus Christus durch einen Akt der Gnade der Sohn Gottes wäre und nicht von Natur aus, müßte er sich dem Vater unterwerfen.
Doch so zu denken ist Ketzerei und eine Schändlichkeit« – Johanna zitierte genau aus dem Gedächtnis –, »weil der Heilige Geist
nicht nur dem Vater entspringt, sondern auch dem Sohne; es gibt nur einen Sohn, und dieser ist kein angenommener Sohn,
›in utraque natura proprium eum et non adoptivum filium Dei confitemur‹.«
Die Leute am Tisch schnippten beifällig mit den Fingern.
»Litteratissima!«
rief jemand durch den Saal.
»Sie ist ein erstaunliches kleines Ding, nicht wahr?« murmelte eine Frauenstimme dicht hinter Johanna, nur einen Hauch zu
laut.
»Tja, Odo«, sagte der Bischof im Plauderton. »Was meint Ihr dazu? Hatte der Grieche recht, was das Mädchen angeht, oder nicht?«
Odo sah aus, als hätte er einen kräftigen Schluck Essig getrunken. »Wie es scheint, besitzt das Mädchen einiges Wissen über
die orthodoxe Theologie. Aber dieses Wissen als solches beweist noch gar nichts.« Er sprach in herablassendem Tonfall, als
würde er über ein anderes Kind reden. »Bei einigen Frauen ist – wie auch bei manchen Tieren – die Fähigkeit zur Nachahmung |116| besonders hoch entwickelt, und dies erlaubt es ihnen, sich die Worte der Männer einzuprägen, sie zu wiederholen und auf diese
Weise den Anschein der Gelehrsamkeit zu erwecken. Aber diese Fähigkeit zur Nachahmung darf nicht mit der wahren Vernunft verwechselt
werden, die ihrem ganzen Wesen nach eine rein männliche Eigenschaft ist. Denn, wie allgemein bekannt«, Odos Stimme wurde fester
und bekam einen autoritären, herrischen Beiklang, denn nun bewegte er sich auf vertrautem Boden, »ist die niedere Stellung
der Frau gegenüber dem Manne angeboren.«
»Warum?« Johanna kam das Wort über die Lippen, noch ehe ihr bewußt geworden war, überhaupt etwas gesagt zu haben.
Odos schmallippiger Mund verzog sich zu einem häßlichen Lächeln. Er sah aus wie der Fuchs, der das Kaninchen in die Enge getrieben
hat. »Deine Unwissenheit, Kind, offenbart sich schon in dieser Frage.
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