Die Päpstin
war, um Boda aus der Herde der Ersatzpferde herauszuholen, und
mit der Stute zum Wagen kam.
»Sie soll mit den Männern reiten?« Richild machte ein düsteres Gesicht. »Das wäre unschicklich.«
»Unsinn!« erwiderte Gerold. »Das macht gar nichts. Außerdem möchte das Mädchen gern reiten. Stimmt’s, Johanna?«
»Ich … ich …«, stammelte sie verlegen und unschlüssig; denn zum einen wäre sie gern geritten, zum anderen aber war sie darauf
bedacht, die zornige Richild nicht noch mehr zu verärgern.
Gerold hob eine Braue. »Aber wenn du lieber im Wagen fahren möchtest, dann …«
»Nein!« sagte Johanna rasch. »Bitte, ich möchte sehr gern auf Boda reiten.« Sie erhob sich, stand auf dem schwankenden Wagen
und streckte die Arme aus. Gerold lachte, beugte sich zur Seite, schlang ihr den Arm um die Hüfte, schwang sie in die Höhe
und setzte sie vor sich in den Sattel. Dann, indem er die Pferde dicht beieinander hielt, hob er Johanna zur Seite und auf
den Rücken Bodas.
Johanna setzte sich im Sattel zurecht. Vom Wagen aus schauten Gisla und Dhuoda erstaunt zu, während Richild ihren Mann und
das Mädchen mit zorniger Mißbilligung beobachtete. Gerold schien es nicht zu bemerken. Johanna trieb Boda zu einem langsamen
Galopp und ritt rasch nach vorn zu den Männern. Die geschmeidigen, rhythmischen Bewegungen der Stute waren ein Genuß, verglichen
mit der Fahrt auf dem rüttelnden und schüttelnden Wagen. Lukas rannte neben dem Pferd her, den Schwanz hoch erhoben; auf seinem
Maul |159| schien ein Lachen zu liegen, das eine beinahe ebenso große Freude widerspiegelte, wie Johanna sie empfand.
Sie lenkte die Stute neben das Pferd ihres Bruders, der seine Mißbilligung kaum verbergen konnte. Johanna lachte, und ihre
trübe Stimmung verflog. Der Weg nach St. Denis würde doch nicht so lang werden.
Ohne Schwierigkeiten überquerten sie die Brücke über den Rhein. Sie war breit und fest und gehörte zu den soliden Brücken,
die während der Regierungszeit Kaiser Karls errichtet worden waren. Zudem wurde die Rheinbrücke vom Landesherrn instand gehalten.
Doch die Überquerung der Maas, deren Ufer sie am achten Tag der Reise erreichten, erwies sich als Problem. Die dortige Brücke
war so sehr verfallen, daß man sie nicht mehr wiederaufbauen konnte. Die Planken waren verrottet; an zwei, drei Stellen waren
sie in den Fluß gestürzt und bildeten breite Lücken, so daß eine Überquerung völlig unmöglich war. Irgend jemand hatte eine
behelfsmäßige Brücke errichtet, indem er mehrere Holzboote in einer Reihe nebeneinander vertäut hatte; man konnte den Fluß
überqueren, indem man von einem Boot ins andere stieg. Doch bei so vielen Personen, Pferden und mit Waren beladenen, schweren
Karren und Wagen nützte diese Brücke aus Booten nichts. Gerold und zwei seiner Männer ritten das Ufer entlang nach Süden und
suchten nach einer Stelle, an der man den Fluß durchqueren konnte. Nach einer Stunde kehrten sie zurück und berichteten, daß
sie zwei Meilen entfernt eine günstige Furt entdeckt hätten, dort, wo der Fluß breiter und dadurch niedriger wurde.
Also brach die Reisegruppe wieder auf. Die Karren sprangen und hüpften wild über das dichte Unterholz, das entlang des Ufers
wuchs, und die Frauen hielten sich mit beiden Händen an den seitlichen Bracken der Wagen fest, damit sie nicht hinausgeschleudert
wurden. Bertha ging noch immer zu Fuß, und ihre Lippen bewegten sich in fortwährendem Gebet. Die Hanfsohlen ihrer Schuhe waren
bereits durchgelaufen, und das Mädchen hatte zu humpeln angefangen; ihre Zehen waren geschwollen, die Fußsohlen zerschnitten
und blutig. Doch Johanna bemerkte, daß Bertha hin und wieder verstohlene Seitenblicke auf Richild und deren Töchter warf,
und es schien dem Mädchen ein wenig Genugtuung zu verschaffen, daß die Insassen des Wagens heftig hin und her geschleudert
wurden.
|160| Schließlich erreichten sie die Furt. Gerold und einige seiner Männer ritten zuerst ein Stück in den Fluß hinein, um die Tiefe
und die Beschaffenheit des Untergrunds zu erkunden. Das Wasser wirbelte und schäumte um die Beine ihrer Pferde; in der Strommitte
stieg es bis zu den Säumen ihrer Tuniken, um dann in Richtung des gegenüberliegenden Ufers allmählich wieder flacher zu werden.
Gerold kam zurückgeritten und bedeutete den anderen, mit der Überquerung zu beginnen. Ohne zu zögern, ritt Johanna in den
Fluß, dicht gefolgt von
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