Die Päpstin
hinter ihnen herzockeln mußte.
Weil sie ein Mädchen war. Nicht zum erstenmal verfluchte Johanna den Schicksalsschlag, dem weiblichen Geschlecht anzugehören.
»Es ist unhöflich, so zu starren, Johanna.«
Richilds dunkle Augen betrachteten sie verächtlich.
Johanna riß den Blick von Gerold los. »Es tut mir leid, Herrin.«
»Laß die Hände gefaltet im Schoß liegen«, ermahnte Richild sie, »und halte die Augen gesenkt, wie es sich für eine anständige
Dame gehört.«
Gehorsam befolgte Johanna Richilds Anweisungen.
»Ein gebührliches Auftreten«, fuhr Richild fort, »ist für eine Dame eine höhere Tugend als die Fähigkeit, lesen zu können.
Das wüßtest du, wärst du vernünftig erzogen worden.« Für einen Moment blickte sie Johanna kühl an; dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit
wieder ihrer Stickerei zu.
Johanna betrachtete Richild aus den Augenwinkeln. Sie war unbestreitbar eine Schönheit. Blaß, asketisch, mit schmalen, hängenden
Schultern entsprach sie dem modischen Ideal der Zeit. Sie hatte einen hellen, reinen Teint, eine ausgesprochen hohe Stirn
und ein zartes Gesicht, das von üppigen, dichten schwarzen Locken umrahmt wurde. Ihre Augen mit den langen dunklen Wimpern
waren von einem so tiefen Braun, daß sie beinahe schwarz aussahen. Johanna verspürte einen scharfen Stich des Neides. Was
das Äußere betraf, hatte Richild alles, was Johanna nicht besaß.
»Komm, du mußt uns helfen, eine Entscheidung zu treffen.« |155| Gisla, die ältere der beiden Töchter, blickte Johanna strahlend an. »Welches von meinen Kleidern soll ich beim Hochzeitsfest
tragen? Was meinst du?« Sie kicherte aufgeregt.
Gisla war vierzehn, knapp ein Jahr älter als Johanna, und bereits dem Markgrafen Hugo versprochen, einem neustrischen Adeligen
aus dem westlichen Frankenreich. Gerold und Richild waren erfreut darüber, denn es war eine vorteilhafte Verbindung. Die Hochzeit
war für den Winnemanoth geplant, in ungefähr sechs Monaten.
»Ach, Gisla, du hast so viele schöne Sachen«, sagte Johanna. Und das stimmte. Johanna hatte über die Größe von Gislas Garderobe
gestaunt – sie besaß so viele Gewänder, daß sie zwei Wochen lang jeden Tag ein anderes tragen konnte, wenn sie wollte. In
Ingelheim besaß ein Mädchen nur eine einzige Tunika – wenn es Glück hatte, aus festem Wollstoff –, die es sorgsam pflegte;
denn das Kleidungsstück mußte viele Jahre halten. »Markgraf Hugo wird dich in jedem deiner Kleider wunderschön finden, da
bin ich ganz sicher.«
Wieder kicherte Gisla. Sie war ein gutherziges, jedoch ein bißchen einfältiges Mädchen, das jedesmal in nervöses Gekichere
ausbrach, wenn der Name des Mannes genannt wurde, der ihr versprochen war.
»Nein, nein«, sagte sie atemlos. »So leicht kommst du mir nicht davon. Also, hör zu. Mutter meint, ich soll das Blaue tragen;
aber ich finde das Gelbe schöner. Was meinst du? Aber gib mir eine vernünftige Antwort!«
Johanna seufzte. Sie mochte Gisla trotz ihrer Oberflächlichkeiten und Albernheiten. Seit Johannas erster Nacht auf Villaris,
als Gerold sie als verängstigtes, erschöpftes Mädchen vom Bischofspalast mit nach Hause nahm, hatten sie und Gisla in einem
Bett geschlafen. Gisla hatte sie herzlich aufgenommen und war stets freundlich zu ihr gewesen – und dafür würde Johanna ihr
immer dankbar sein. Dennoch konnte sie nicht leugnen, daß es mitunter anstrengend war, mit Gisla zu reden, denn die Interessen
des Mädchens galten ausschließlich den drei Themen Kleider, Essen und Männer. In den letzten paar Wochen hatte Gisla unaufhörlich
über die Hochzeit geredet, und allmählich ging sie damit allen auf die Nerven.
Johanna lächelte und versuchte, Gisla gefällig zu sein. »Ich finde, du solltest das blaue Kleid tragen. Es paßt zur Farbe
deiner Augen.«
|156| »Das Blaue? Wirklich?« Gisla furchte die Brauen. »Aber das Gelbe hat vorn den schönen Spitzenbesatz.«
»Stimmt. Also dann doch lieber das Gelbe.«
»Andererseits … das Blaue paßt
wirklich
zur Farbe meiner Augen. Vielleicht sollte ich doch das Blaue nehmen. Ja. Ich glaub’ schon. Oder doch nicht? Was glaubst du?«
»
Ich
glaube, ich kriege gleich einen Schreikrampf, wenn du nicht endlich von dieser dummen Hochzeit aufhörst«, sagte Dhuoda. Sie
war inzwischen neun Jahre alt und verärgert darüber, daß ihre ältere Schwester in den vergangenen Wochen im Mittelpunkt der
allgemeinen Aufmerksamkeit gestanden hatte. »Wen
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