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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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der Geruch von gegorenem Honig. In
     der Mitte der abgedunkelten Hütte saß mit überkreuzten Beinen eine winzige Gestalt – eine alte Frau, schlicht in einen weiten,
     dunklen Umhang gekleidet. Sie schien unglaublich alt zu sein, vielleicht siebzig Winter oder mehr. Die Haare waren ihr ausgefallen
     – nur auf dem Scheitel waren noch einige weiße, dünne Strähnen zu sehen –, und sie wackelte unablässig mit dem Kopf, als hätte
     sie Schüttelfrost. Doch ihre Augen leuchteten lebhaft im Halbdunkel und betrachteten Johanna und Gisla mit durchdringenden,
     abschätzenden Blicken.
    »Hübsche kleine Tauben«, krächzte die Frau. »So hübsch und so jung. Was wollt ihr von der alten Balthild?«
    »Wir wollten bloß wissen … wie … was …«, stammelte Johanna, als sie nach einer Erklärung suchte. Sie war ein wenig verängstigt;
     denn der Blick der alten Frau war beunruhigend.
    »Wir wollten wissen, was es hier zu kaufen gibt«, vollendete Gisla tapfer den Satz.
    »Was es hier zu kaufen gibt? Was es hier zu kaufen gibt?« sagte die alte Frau und lachte krächzend. »Etwas, das ihr haben
     wollt, aber nie bekommen werdet.«
    »Und was ist das?« fragte Gisla.
    »Etwas, das euch schon gehört – nur wißt ihr’s nicht.« Die Alte grinste die Mädchen mit ihrem zahnlosen Mund an. »Etwas, das
     man nicht bezahlen und trotzdem kaufen kann.«
    »Was
ist
das?« fragte Gisla ungeduldig und mit Schärfe in der Stimme, denn sie war der Rätsel überdrüssig.
    »Die Zukunft.« Die Augen der alten Frau funkelten im Halbdunkel. »Deine Zukunft, meine kleine Taube. Alles, was sein wird
     und noch nicht ist.«
    »Oh! Dann seid Ihr Wahrsagerin!« Gisla klatschte in die Hände, erfreut darüber, das Rätsel gelöst zu haben. »Wieviel kostet
     es, wenn Ihr in die Zukunft schaut?«
    |175| »Einen
solidus

    Einen
solidus
! Das war der Preis für eine gute Milchkuh, oder zwei kräftige Schafböcke!
    »Zu teuer.« Gisla war jetzt in ihrem Element, wirkte selbstsicher und zielstrebig; eine gewiefte Kundin, die darauf aus war,
     ein gutes Geschäft zu machen.
    »Einen
obolus
«, bot sie der alten Frau an.
    »Fünf
denarii
«, konterte die Alte.
    »Zwei. Einen für jede von uns.« Gisla nahm die Münzen aus ihrem Ranzen und hielt sie in der ausgestreckten Hand, damit die
     alte Frau sie sehen konnte.
    Die Alte zögerte: dann nahm sie die Münzen und bedeutete den Mädchen, sich neben sie auf den Fußboden zu setzen. Sie nahmen
     Platz, und die alte Frau nahm Johannas kräftige junge Hände zwischen ihre zitternden Finger und richtete ihren seltsamen,
     beunruhigenden Blick auf sie. Lange Zeit sagte die Alte nichts; dann begann sie zu sprechen.
    »Du bist, was du nicht sein wirst, Wechselbalg; was du werden wirst ist anders, als du bist.«
    Daraus konnte niemand schlau werden – es sei denn, die Alte wollte damit lediglich sagen, daß Johanna bald eine erwachsene
     Frau sein würde. Aber weshalb hatte die Alte sie als ›Wechselbalg‹ bezeichnet?
    »Du strebst nach dem Verbotenen«, fuhr Balthild fort. Johanna zuckte vor Erstaunen zusammen, und die alte Frau verstärkte
     den Griff ihrer Hände. »Ja, Wechselbalg, ich kann in dein Innerstes schauen. Du wirst nicht enttäuscht. Macht und Größe werden
     dein – viel mehr, als du’s dir erträumen kannst. Doch auch Schmerz und Kummer werden dir zuteil – schlimmer, als du’s dir
     vorzustellen vermagst.«
    Balthild ließ Johannas Hände fallen und wandte sich Gisla zu, die Johanna zuzwinkerte und mit einer Miene anblickte, die besagte:
     »
Das
ist ein Spaß, nicht wahr?«
    »Du wirst bald heiraten. Einen reichen Mann«, sagte Balthild.
    »Ja!« rief Gisla und kicherte. »Aber ich habe Euch nicht dafür bezahlt, daß Ihr mir sagt, was ich schon weiß, alte Frau. Wird
     meine Ehe glücklich sein?«
    »Nicht glücklicher als die meisten Ehen, aber auch nicht unglücklicher«, sagte Balthild, worauf Gisla den Blick in gespielter
     Verzweiflung an die Decke der Hütte richtete.
    |176| »Eine Ehefrau, die wirst du wohl, aber niemals eine Mutter.« Balthild redete in einem seltsamen Sprechgesang und schwang im
     Rhythmus der Worte vor und zurück. Ihre Stimme war plötzlich klar und melodisch.
    Gislas Lächeln schwand. »Soll das heißen, ich bin unfruchtbar?«
    »Leer und dunkel liegt deine Zukunft vor dir.« Balthilds Stimme erhob sich zu einem klagenden Heulen. »Schmerz wirst du erleiden
     und Verzweiflung und Angst.«
    Gisla saß wie angewurzelt da, regungslos wie ein

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