Die Päpstin
reicht, um mich zu retten?«
Der Wolf legte mit fragendem Blick den Kopf auf die Seite, als würde er versuchen, das Gesagte zu begreifen. Es war eine Eigenart,
die Gerold stets aufs neue erheiterte. Johanna umarmte den weißen Wolf und barg das Gesicht im dichten Fell um seinen Hals.
Zuerst kamen die bischöflichen Beamten in Sicht. Sie bewegten sich gemessenen Schrittes in würdevoller Prozession zum Dom.
Ihnen folgten die Diakone und Subdiakone, allesamt zu Pferde und in prächtigen Gewändern. Unter ihnen befand sich Odo, gekleidet
in einen schlichten braunen Umhang; auf seinem schmalen Gesicht lag ein verächtlicher, hochmütiger Ausdruck. Als sein Blick
auf Johanna fiel, die sich in der Gruppe der Bettler und Bittsteller aufhielt, die auf den Bischof warteten, verzogen seine
dünnen Lippen sich zu einem boshaften Lächeln.
Schließlich erschien der Bischof, in ein Gewand aus weißer Seide gekleidet; er saß auf einem prächtigen Roß, das mit einer |197| purpurnen Schabracke bedeckt war. Unmittelbar hinter ihm ritten die höchsten Würdenträger des bischöflichen Palastes: der
Schatzmeister; der Vorsteher der Kleiderkammer sowie der Almosenpfleger. Die Prozession hielt, als von beiden Seiten zerlumpte
Bettler auf die Würdenträger eindrangen und im Namen des heiligen Stephan, des Schutzpatrons der Bedürftigen, laut nach milden
Gaben riefen. Lustlos verteilte der Almosenpfleger Münzen unter den Bettelnden.
Johanna huschte rasch dorthin, wo sich der Bischof befand, dessen Pferd ungeduldig mit den Hufen scharrte.
Sie fiel auf die Knie. »Eminenz, hört meine Bitte …«
»Ich kenne deinen Fall«, unterbrach der Bischof Johanna, ohne sie dabei anzuschauen. »Und ich habe meine Entscheidung bereits
gefällt. Ich werde mir deine Bitte nicht anhören.«
Er spornte sein Pferd an, doch Johanna sprang auf, packte das Zaumzeug und hielt das Tier fest. »Diese Ehe würde meinen Untergang
bedeuten, Eminenz.« Sie redete schnell, aber mit leiser Stimme, so daß niemand anders sie hören konnte. »Falls es Euch nicht
möglich ist, die Hochzeit zu verhindern – könnt Ihr sie dann nicht wenigstens für einen Monat aufschieben?«
Fulgentius machte Anstalten, sein Pferd voranzutreiben, doch Johanna hielt entschlossen das Zaumzeug fest. Rasch kamen zwei
Wächter herbei; sie hätten das Mädchen davongezerrt, doch mit einer Handbewegung gebot der Bischof ihnen Einhalt.
»Gebt mir vierzehn Tage Zeit!« bettelte Johanna. »Ich flehe Euch an, Eminenz, gebt mir wenigstens vierzehn Tage!« Dann war
ihre innere Kraft endgültig erschöpft, und sie begann zu schluchzen.
Fulgentius war ein Mann mit vielen Fehlern und Schwächen, doch hartherzig war er nicht. Der Ausdruck seiner Augen wurde weich,
als Mitleid in ihm aufkeimte. Er beugte sich im Sattel zur Seite und streichelte über Johannas weißgoldenes Haar.
»Ich kann dir nicht helfen, Kind. Du mußt dich in dein Schicksal ergeben. Wir haben dir eine Zukunft bereitet, wie Gott sie
für jede gesunde Frau vorgesehen hat.« Er beugte sich noch tiefer hinunter und flüsterte: »Ich habe Erkundigungen über den
jungen Mann einziehen lassen, der dein Ehegatte wird. Er ist ein netter und stattlicher Bursche; dein Los zu tragen wird dir
nicht allzu schwerfallen, glaub mir.«
|198| Er gab den Wachen ein Zeichen, die Johannas Hände daraufhin vom Zaumzeug losrissen und das Mädchen zurück in die Menge stießen.
Vor ihr bildete sich eine Gasse. Als Johanna hindurchging und versuchte, ihre Tränen zu verbergen, hörte sie die Stadtbewohner
tuscheln und leise lachen.
Im hinteren Teil der Menge sah sie Johannes. Sie ging in seine Richtung, doch er wich zurück.
»Bleib mir vom Leibe!« rief er wütend. »Ich hasse dich!«
»Warum? Was habe ich getan?«
»Du weißt genau, was du getan hast!«
»Was ist denn los, Johannes? Was ist geschehen?«
»Ich muß Dorstadt verlassen!« rief er. »Wegen dir!«
»Ich verstehe nicht …«
»Odo hat zu mir gesagt: ›Du gehörst nicht hierher.‹« Johannes ahmte die näselnde Stimme des Schulmeisters nach. »›Du hast
nur deiner Schwester wegen hier bleiben dürfen.‹«
Johanna blickte den Bruder fassungslos an. Sie war so sehr mit ihrer eigenen Zwangslage beschäftigt gewesen, daß sie noch
gar nicht an die Konsequenzen für Johannes gedacht hatte. Er war ein schlechter Schüler, der die Domschule nur ihres geschwisterlichen
Verhältnisses wegen hatte besuchen dürfen. Jetzt, da sie
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