Die Päpstin
gehen mußte, würde auch Johannes gehen müssen.
»Ich habe diese Hochzeit nicht gewollt, Johannes.«
»Du hast mir immer schon alles verdorben! Und jetzt tust du’s schon wieder!«
»Hast du denn nicht gehört, was der Bischof vorhin zu mir gesagt hat?«
»Es interessiert mich nicht! Das alles ist deine Schuld! Immer war alles Schlimme deine Schuld!«
Johanna konnte seinen Zorn nicht recht begreifen. »Dir gefällt das Bücherstudium doch gar nicht. Was kümmert es dich da, ob
sie dich von der Domschule schicken oder nicht?«
»Du verstehst es nicht.« Er ließ den Blick über Johanna hinweg auf jemand anderen schweifen. »Du hast es nie verstanden.«
Johanna drehte sich um und sah die Jungen von der Domschule dicht beisammenstehen. Einer zeigte auf sie und flüsterte den
anderen irgend etwas zu, worauf sich gedämpftes Lachen erhob.
Also wissen sie es schon,
ging es Johanna durch den Kopf. |199|
Natürlich wissen sie’s. Odo würde niemals auf Johannes’ Gefühle Rücksicht nehmen.
Voller Mitgefühl betrachtete Johanna ihren Bruder. Es mußte schwer, fast unerträglich für ihn sein, ihretwegen von seinen
Freunden getrennt zu werden. Johannes hatte sich oft mit den anderen Jungen gegen sie verbündet, doch Johanna wußte warum:
Ihr Bruder hatte immer nur akzeptiert werden wollen, hatte dazugehören wollen, mehr nicht.
»Für dich, Johannes, wird alles wieder gut«, sagte sie besänftigend. »Es steht dir jetzt frei, wieder nach Hause zu gehen.«
»Ich und frei?« Johannes lachte humorlos. »So frei wie ein Mönch!«
»Was meinst du damit?«
»Ich soll ins Kloster nach Fulda gehen! Vater hat dem Bischof die entsprechende Bitte geschickt, als wir hierher an die Domschule
kamen. Falls ich auf der
scola
versage, sollte ich ins Kloster zu Fulda geschickt werden!«
Das also war die Ursache für Johannes’ Zorn. Denn sobald er der Bruderschaft erst einmal anvertraut worden war, konnte er
sie nicht mehr verlassen. Dann würde nie ein Soldat aus ihm werden, der im kaiserlichen Heer ritt, wie er es sich erträumt
hatte.
»Vielleicht gibt es doch noch einen Ausweg«, sagte Johanna. »Wir könnten ein Bittgesuch beim Bischof machen. Wenn wir gemeinsam
zu ihm gehen, wird er vielleicht …«
Johannes starrte sie düster an; um seinen Mund zuckte es, als er nach Worten suchte, die deutlich genug waren, seinen Gedanken
Ausdruck zu verleihen. »Ich … ich wünschte, du wärst nie geboren!« stieß er hervor, drehte sich um und rannte davon.
Niedergeschlagen machte Johanna sich auf den Rückweg nach Villaris.
Sie saß am Ufer des Flusses, an dem Gerold und sie sich erst vierzehn Tage zuvor umarmt hatten. Seitdem war eine Ewigkeit
vergangen. Johanna blickte zur Sonne empor; es waren nur noch gut zwei Stunden bis zur Sext. Morgen um diese Zeit – zur Mittagsstunde
– würde sie die Gattin des Iso sein, Sohn des Hufschmieds von Dorstadt.
Es sei denn …
|200| Sie betrachtete die Baumreihe, die den Waldrand begrenzte. Dorstadt lag inmitten dichter, ausgedehnter Wälder. Man konnte
sich tagelang, sogar wochenlang darin verstecken, ohne entdeckt zu werden. Und Gerold kam in frühestens zwei Wochen nach Hause.
Kannst du so lange im Wald überleben?
fragte sich Johanna.
Der Wald war gefährlich; es gab dort wilde Eber und Auerochsen und … Wölfe. Johanna dachte an die Kraft und die wilde Wut
von Lukas’ Mutter, als sie gegen die Käfigstangen gesprungen war, wobei ihre scharfen Zähne im Mondlicht gefunkelt hatten.
Ich werde Lukas mitnehmen,
sagte sich Johanna.
Er wird mich beschützen, und er kann mir bei der Jagd helfen.
Der junge Wolf war bereits ein tüchtiger Jäger von Kaninchen und anderen kleinen Wildtieren, die es zu dieser Jahreszeit reichlich
gab.
Und Johannes?
dachte sie.
Was ist mit Johannes?
Sie konnte nicht einfach fortlaufen, ohne ihm zu sagen, wohin sie gegangen war.
Er kann mit mir kommen!
Natürlich! Das war die Lösung ihrer
beider
Probleme. Sie würden sich im Wald verstecken und auf Gerolds Heimkehr warten. Gerold würde alles wieder ins Lot rücken – nicht
nur für Johanna, sondern auch für ihren Bruder.
Sie mußte Johannes nur irgendwie Bescheid sagen. Sie mußte sich mit ihm darauf einigen, daß sie sich noch heute abend an einer
bestimmten Stelle im Wald trafen. Er mußte seinen Speer, seinen Bogen und seinen Köcher mitbringen.
Es war ein verzweifelter Plan. Aber Johanna war verzweifelt.
Sie traf Dhuoda im Schlafraum. Obwohl erst elf
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