Die Palm-Beach-Verschwoerung
Dave. Auf der Innenklappe befand sich ein Stempel der Bibliothek des Boston College. Dave hatte gesagt, er wolle mir was über Gachet zeigen.
»Davey, wo zum Teufel steckst du, Mann?«
Ich ließ mich aufs Sofa fallen und schlug das Buch auf einer Seite auf, die mit einem gelben Haftzettel gekennzeichnet war.
Das Bild zeigte einen alten Mann mit weißer Mütze, der seinen Kopf auf seine Faust stützte. Melancholischer Blick, stechend blaue Augen. Im Hintergrund die unverkennbaren, leuchtenden Van-Gogh-Wirbel.
Ich las den Untertitel.
Portrait von Dr. Gachet.
Meine Augen wurden von dem kleinen Bild wie magnetisch angezogen. Portrait von Dr. Gachet. 1890.
Ich wurde ganz aufgeregt. Das Gemälde war vor über hundert Jahren entstanden. Jeder konnte diesen Namen benutzen. Aber plötzlich wuchs die Hoffnung in mir. Der Name Gachet stand für eine reale Person! Ellie Shurtleff würde es bereits wissen.
»Dave!«, rief ich noch lauter. Ich blickte die Treppe hinauf ins Erdgeschoss.
Dann sah ich, dass im Bad Licht brannte und die Tür angelehnt war.
»Meine Güte, Dave, bist du da drin?« Ich stand auf und klopfte an die Tür, die sich langsam öffnete.
Das Einzige, woran ich mich erinnerte, war, dass ich mindestens eine Minute lang dastand, als hätte mir jemand einen Hammer in den Bauch gerammt.
Oh, Dave... oh, Dave.
Mein Bruder saß mit seinem Kapuzenshirt vom Boston College auf dem Toilettendeckel. Sein Kopf war leicht zur Seite geneigt. Überall war Blut, sickerte aus seinem Bauch auf die Jeans und den Boden. Er bewegte sich nicht. Dave starrte mich gelassen an, als wollte er sagen: Mist, wo hast du nur gesteckt, Ned?
»Oh, mein Gott, Dave, nein!«
Ich rannte zu ihm, fühlte nach dem Puls, wusste aber schon, dass ich keinen finden würde. Ich schüttelte meinen Bruder, um ihn irgendwie ins Leben zurückzuholen. In seinem Sweatshirt, links in Höhe der Rippen, befand sich ein großes Loch. Ich zog sein Sweatshirt hoch und hatte das Gefühl, dass mir sein Inneres in die Hände fiel.
Ich wankte zurück, schlug auf die Badezimmerwand ein und sank hilflos auf den Linoleumboden.
Plötzlich schien wieder Leben in mich zu kommen. Ich konnte nicht hier herumsitzen und Dave anstarren. Ich musste hier raus. Mühsam erhob ich mich und verließ das Badezimmer. Ich brauchte frische Luft.
In diesem Moment legte sich ein Arm um meinen Hals und drückte zu. Fest, unglaublich fest. »Sie haben ein paar Dinge, die uns gehören, Mr. Kelly.«
43
Ich bekam keine Luft. Mein Hals und mein Kopf wurden von einem sehr kräftigen Mann nach hinten gerissen, ein scharfes Messer wurde gegen meine Brust gedrückt.
»Die Gemälde, Mr. Kelly«, erklärte die Stimme. »Und wenn ich in den nächsten fünf Sekunden nichts von den Bildern höre, werden diese fünf Sekunden alles sein, was Ihnen auf dieser Welt noch bleibt.«
Nur um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, ließ er mich erneut seine Messerklinge spüren.
»Letzte Chance, Mr. Kelly. Sehen Sie Ihren Bruder da drüben? Tut mir Leid wegen der Schweinerei, aber er wusste partout nichts davon, dass Sie herkommen wollten. Für Sie wird es allerdings nicht ganz so einfach werden.« Er zog meinen Kopf noch weiter nach hinten und drückte das Messer an meine Kehle. »Niemand verarscht die Leute, für die ich arbeite.«
»Ich habe keine Gemälde! Glauben Sie, ich würde in solch einem Augenblick lügen?«
Er kratzte mit der Klinge über meinen Hals. »Halten Sie mich für einen Volltrottel, Mr. Kelly? Sie haben etwas, das uns gehört. Im Wert von etwa sechzig Millionen Dollar. Jetzt hätte ich gerne was darüber erfahren. Los.«
Was sollte ich ihm erzählen? Was konnte ich ihm erzählen? Ich wusste nichts über die verschwundenen Bilder.
»Gachet!«, rief ich und drehte meinen Kopf. »Gachet hat sie. Suchen Sie Gachet!«
»Tut mir Leid, Mr. Kelly, ich kenne keinen Gachet. Ich habe Ihnen fünf Sekunden gegeben, jetzt sind sie vorbei.« Er drückte fester zu. »Grüßen Sie Ihren Bruder, Arschloch …«
»Nein!«
Ich schrie in der Erwartung, dass sich gleich die Klinge in
meinen Hals senken würde, doch dann spürte ich, wie ich hochgehoben wurde. Vielleicht gab er mir eine letzte Chance zum Reden. Ich wusste: Egal was ich ihm sagte, ich würde diesen Ort nicht mehr lebend verlassen.
Ich rammte dem Kerl meinen Ellbogen mit aller Kraft in die Rippen. Er stieß die Luft aus. Sein Griff lockerte sich gerade so weit, dass ich mit den Füßen wieder den Boden berührte, als mich auch
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