Die Palm-Beach-Verschwoerung
Jeder weiß, dass du Mickey nicht umgebracht hast. Juristisch gibt es so was wie einen ›hochgradigen Affektzustand‹. Im Grunde genommen heißt das, dass du nicht ganz bei Trost warst, als du dich der Verhaftung widersetzt hast.«
»Das soll meine Verteidigungsstrategie sein? Dass ich einen an der Klatsche habe?«
»Nein, nicht im Sinne von durchgeknallt, Ned. Dass du unter Druck standst und etwas getan hast, das du mit klarem Kopf nicht getan hättest. Wenn es hilft, wenigstens teilweise heil aus der Sache rauszukommen, warum nicht? Aber du musst aufhören, dich noch tiefer reinzureiten. Du brauchst einen Anwalt.«
»Machst du jetzt deinen eigenen Laden auf?«
»Ich versuche nur, dein Leben zu retten, du Arsch.«
Ich schloss meine Augen. Das Spiel war aus, oder? Ich musste das Richtige tun. »Wo können wir uns treffen, Bruderherz? Das Risiko ist zu groß, wenn ich in die Bar komme.«
Dave dachte kurz nach. »Erinnerst du dich an den X-Mann?«
Philly Morisani. Wir hatten bei ihm im Keller auf der Hillside Avenue, im selben Viertel, in dem wir aufgewachsen waren, immer ferngesehen. Wir waren uns vorgekommen wie in einem Privatclub. Philly war so begeistert von Akte X gewesen, dass wir ihn den X-Mann nannten. Ich hatte gehört, dass er jetzt bei Verizon arbeitete. »Klar erinnere ich mich.«
»Er ist geschäftlich unterwegs, und ich passe ein bisschen auf sein Haus auf. Der Kellerschlüssel liegt da, wo er immer
war. Ich bin jetzt noch an der Uni, muss ein paar Sachen fertig machen. Wie wäre sechs Uhr? Wenn ich zuerst da bin, lasse ich die Tür offen.«
»Ich werde die Zeit nutzen und üben, die Hände hinter dem Rücken zu halten. Für die Handschellen.«
»Wir boxen dich da raus, Ned. Habe ich dir schon erzählt, dass ich eine Eins in ›Vorladungen und Gesetze‹ habe?«
»Jesses, das läuft ja alles wie geschmiert! Aber, was wichtiger ist: Wie hast du in Prozessrecht abgeschnitten?«
»Prozessrecht?«, stöhnte Dave. »Puh, bin ich durchgerasselt.«
Wir mussten lachen. Schon mein eigenes Lachen zu hören, zu spüren, dass jemand auf meiner Seite war, ließ mein Blut etwas wärmer werden.
»Wir werden dich da rausboxen«, wiederholte Dave. »Lass dich nirgends blicken. Wir sehen uns um sechs.«
42
Ich musste ein paar Stunden totschlagen, also ging ich ein bisschen über den Kenmore Square spazieren. In einer leeren irischen Bar trank ich ein Bier und sah mir das Ende des Spiels an. Die Sox schafften es doch noch, mit drei Runs im neunten Inning gegen Rivera zu gewinnen. Vielleicht sollte ich an Wunder glauben.
Ich leerte mein Bier - und stellte mir vor, dass es für lange, lange Zeit mein letztes sein würde. Das Leben, wie ich es kannte, ging dem Ende zu. Ich würde eindeutig ins Gefängnis wandern. Ich schob dem Barmann einen Zehner hin. »Hochgradiger Affektzustand« - echt toll, Ned, dein Leben wurde auf die Hoffnung reduziert, dass du bei der Entführung nicht alle Tassen im Schrank hattest.
Es war kurz nach fünf, als ich ein Taxi anhielt, das mich für vierzig Piepen nach Brockton fuhr. Ich stieg abseits der Edson Street aus und ging den kürzeren Weg hinter der Grundschule zur Hillside Avenue, wo Dave mich treffen wollte.
Es war das dritte Haus in dem Straßenblock, ein verwittertes, graues Gebäude im Cape-Cod-Stil mit einer steilen, kurzen Einfahrt. Ich war erleichtert: Der schwarze WRX meines Bruders stand auf der Straße.
Ich wartete ein paar Minuten an einem Laternenpfahl und beobachtete die Straße. Keine Polizisten. Niemand war mir gefolgt. Zeit, die Sache hinter mich zu bringen …
Ich rannte zur Seite des Hauses. Wie Dave gesagt hatte, war die Außentür zum Keller nicht abgeschlossen. Wie in alten Zeiten. Wir hatten uns dort herumgetrieben, ein paar Spiele im Fernsehen angeschaut, hin und wieder ein bisschen Gras geraucht.
Ich klopfte an die Scheibe. »Dave!«
Keine Antwort.
Ich öffnete die Tür. Der muffige Geruch nach Mottenkugeln brachte eine Menge schöner Erinnerungen zurück. Philly hatte im Keller seit meinem letzten Besuch hier kaum etwas umgestaltet. Dieselbe Decke auf demselben Flechtsofa, derselbe ausgeleierte Sessel. Ein Billardtisch mit einer Reihe Miller-Lite-Laternen darüber, eine billige Bar aus alten Brettern.
»Hallo, Dave!«, rief ich.
Ich bemerkte ein aufgeschlagenes Buch auf dem Sofa. Ein Kunstband. Ich drehte es um: Die van-Gogh-Gemälde. Sofern Philly in der Zwischenzeit nicht seine Lesegewohnheiten geändert hatte, stammte dieses Buch von
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