Die Pan-Trilogie, Band 1: Das geheime Vermächtnis des Pan (German Edition)
Ventilatoren und aus unsichtbaren Lautsprechern ertönten Klänge von Buena Vista Social Club. Er hatte Recht. Hier war es perfekt. Außer uns war nur noch ein Tisch besetzt, viel weiter hinten. Zwei Männer in seriösen Anzügen, die aussahen wie Vertreter des MI6.
Lee bestellte bei einem Latino in langer schwarzer Schürze über schwarzem Hemd zwei Espressi Con Panna – was immer das auch war.
»Hat deine Mum so viel zu tun?«, fragte Lee, als wir saßen. Der Kellner brachte schon zwei dampfende Tassen Kaffee und einen Teller mit kleinen Maisfladen.
»Arepas«, sagte Lee und hielt mir den Teller hin. »Eine Spezialität der kolumbianischen Küche. Felipe macht die Besten von London.«
Und wenn es ein Big Mac gewesen wäre, ich hatte Hunger und griff zu. Sie schmeckten fantastisch. Ich hatte nie zuvor etwas Vergleichbares probiert.
Lee wartete, bis ich zwei Arepas verputzt hatte, dann begann die Inquisition.
»Also, was ist los? Warum kommst du andauernd so spät und dann auch noch so müde zum Unterricht? Hat deine Mutter so viel zu tun?«
»Wieso willst du das wissen?«, fragte ich und mied seinen Blick.
»Du schuldest mir was«, entgegnete er gnadenlos. »Hat deine Mutter so viel zu tun?«
»Nein. Normalerweise nicht. Nur war gestern Abend ein Verein da und mit mehr als drei Personen im Pub ist meine Mutter immer etwas überfordert.«
»Wie viel zahlt sie dir?«, fragte Lee.
»Es ist meine Mutter!«, entgegnete ich.
Das beeindruckte ihn wenig. »Heißt das, du bekommst nichts? Gar nichts?«
»Natürlich nicht. Von seiner Familie lässt man sich doch nicht bezahlen.«
Er betrachtete mich aus zusammengekniffenen Augen, als würde er abschätzen, ob ich naiv oder dumm war. Wahrscheinlich war ich beides in seinen Augen.
»Hast du Geschwister, die auch ab und an einspringen?«
Jetzt kniff ich die Augen zusammen. »Was wird das hier? Ein Verhör?«
Er lächelte leicht. »Nein. Ich bin nur neugierig. Aber falls du noch Geschwister hast, wäre es doch nur fair, ihr würdet euch die Arbeit teilen.«
Ich zuckte die Achseln. »Meine Geschwister wohnen nicht mehr zu Hause. Meine Schwester Anna hat einen kleinen Sohn und mein Bruder Philip arbeitet Schichtdienst am Biggin Hill Airport. Die können nicht mehr aushelfen. Außerdem wohnen beide in anderen Stadtteilen.«
»Also bleibt es an der Jüngsten hängen?« Lee klang, als fände er das unverschämt.
»Hey, das ist meine Familie«, sagte ich entrüstet. Spendierter Kaffee hin oder her, aber er hatte nicht das Recht, meine Familie schlecht zu machen. »Erzähl doch mal ein bisschen von dir selbst!«, wechselte ich abrupt das Thema. »Hast du Geschwister? Arbeitest du nebenher? Bei welcher Modelagentur? Und warum gibt sich so ein Kerl wie du mit jemandem wie mir ab?«
Da war es wieder: das schiefe Lächeln, das einen umhaute.
»Sollte ich nicht? Hast du einen Freund, der etwas dagegen haben könnte?«, fragte er und es hörte sich amüsiert an.
Ich versteifte mich. »Und wenn es so wäre? Würdest du mich dann in Ruhe lassen?«
Er legte den Kopf ein wenig schief, als müsse er nachdenken. »Das kann ich gar nicht. Wir sitzen zusammen, schon vergessen?«
Frustriert trank ich einen zu großen Schluck Kaffee und verbrannte mir prompt die Zunge. Scharf zog ich kühle Luft durch die Zähne. Lee grinste.
Der Kaffee hatte mich wieder zum Leben erweckt, so dass ich wenigstens Physik und Chemie überstand. Lee wich nicht von meiner Seite. Er raunte mir die richtige Formel für Ammoniumchlorid zu und betörte in der Mensa erneut Matilda, so dass wir beide uns über einen gebratenen Fisch mit frischem Salat und Pommes freuen konnten. (Der Fisch schmeckte super: Außen knusprig und gut gewürzt, innen saftiges, weißes Fleisch.)
Ruby warf frustriert ihre Gabel auf den Tisch, als sie unsere Tabletts sah. »Wieso habt ihr Fisch? Ich hasse Kartoffelbrei und Nieren. Ich will auch Fisch!«
Wir alle starrten sie überrascht an. Wir hatten noch nie erlebt, dass Ruby tatsächlich laut werden konnte.
Lee neben mir fasste sich als erster. »Sollen wir tauschen? Ich esse Nieren ganz gern.«
Ich wollte gerade erwidern, dass er Matilda vorhin etwas ganz anderes gesagt hatte, als mich unter dem Tisch ein leichter Tritt gegen das Schienbein traf. Ah, ein Gentleman! Klaglos aß er Rubys Portion fettiger Nieren.
Phyllis und Nicole quetschten ihn über Amerika aus. Mir fiel auf, dass seine Antworten allein die Schule betrafen. Als Jayden nach seinen Eltern fragte, gab er
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