Die Pan-Trilogie, Band 1: Das geheime Vermächtnis des Pan (German Edition)
Unsinn. Ich würde nicht mit diesen verheulten Augen in den Unterricht gehen. Ich würde nach Hause gehen und nach der Mittagspause wiederkommen. Vielleicht war ich dann aufnahmefähig.
Aber Lee zog mich an seine Brust und hielt mich fest. Ich duldete es nur eine Minute, dann schob ich ihn von mir. Egal was gestern Mittag vorgefallen war, er gehörte zum Star Club. Er war in die Fänge von Felicity Stratton geraten und es war nur eine Frage der Zeit, bis er genauso abfällig über uns sprechen würde wie sie und ihre Mitstreiter.
Er versuchte nicht mehr mich zu umarmen, sondern sagte: »Komm, ich bring dich heim.«
Als er mir eine Hand auf den Rücken legte, durchfuhr mich sogleich wieder dieser elektrische Impuls.
»Was ist das?«, fragte ich ihn. »Jedes Mal, wenn du mich anfasst, bekomme ich einen Stromschlag.«
Er schwieg und mied meinen Blick.
»Können wir nicht wieder einen Kaffee trinken und dann bei Physik weitermachen?«, fragte ich, als wir draußen auf der Straße standen.
Lee seufzte. »Warum bist du so erpicht darauf in die Schule zu gehen? Die meisten Schüler drücken sich so gut es geht davor.«
Ich blieb stehen und sah ihm fest in die Augen. »Ich möchte diesen kleinen Pub nicht übernehmen. Ich möchte nicht Nacht für Nacht hinterm Tresen stehen und mir das schwachsinnige Gelaber von Alkoholikern anhören. Ich möchte nicht bis in die Puppen im Bett liegen und das Leben meiner Kinder verpassen. Deshalb bin ich so erpicht darauf in die Schule zu gehen.«
Lees Augen schweiften über die vielbefahrene Straße, entlang all den kleinen Boutiquen und Geschäften. Ich wusste, er war kurz davor nachzugeben. Obwohl ich eigentlich seine Nähe meiden sollte, wegen Felicity und Co., hoffte ich auf einen weiteren guten Kaffee.
»Ich verspreche dir, ich werde auch nicht mehr neben dir einschlafen«, plapperte ich weiter. Ich roch bereits den Kaffee. »Wenn du dein Image wahren willst, könnte ich sogar schmachtend zu dir aufschauen.«
Lees Mundwinkel zuckten. »Das bezweifle ich.«
»Ich könnte es zumindest mal probieren. Und wenn du heute Mittag bei Matilda ein weiteres vegetarisches Menü raushaust, wird es mir sogar leicht fallen.«
Seine Augen verengten sich und er hob beide Brauen, wobei die Linke höher reckte als die Rechte.
»Ach komm schon, Lee.« Ich strahlte ihn an, wohlwissend, dass meine Zahnspange jegliche Anmache ins Gegenteil verkehrte.
Er lachte. »Okay, komm mit.«
»Großartig!« Ich machte vor Freude fast einen kleinen Hüpfer. Aber meine Begeisterung verflog, als er mich am Starbucks vorbeiführte. »Wolltest du nicht hier …« deutete ich kurz an.
»Nein. Ich weiß was Besseres.« Er war sich seiner Behauptung sicher. Nun ja, ein Mann, der Jeans von Paige trug und gestylt war wie ein Model, kannte sich bestimmt auch in der Kaffeebranche aus.
Aber dann fiel mir etwas anderes ein.
»Äh, ich hoffe, du führst mich nicht in so einen Schickimicki-Schuppen. Wenn ich die Gesichter in Mathe richtig gedeutet habe, bin ich nicht wirklich vorzeigbar.«
»Deine Haare sehen aus, als hätte ein Vogel darin genistet, aber sonst ist alles okay.«
Erschrocken blieb ich stehen und betrachtete mein Spiegelbild in einer Schaufensterscheibe. Er hatte recht: Meine Haare standen wirr in sämtliche Richtungen. Aber was bei Einstein intellektuell wirkte, sah bei mir einfach nur aus, als sei ich …
»O Gott, ich sehe aus wie Mrs Rochester«, rief ich entsetzt.
Lee blinzelte verwirrt hinter mir im Spiegelbild. »Wie wer?«
»Na, Mrs Rochester, die erste Frau von Mr Rochester aus Jane Eyre.«
Lee kapierte immer noch nicht.
»Sie war verrückt und wurde im obersten Turm des Hauses festgehalten. Später zündete sie in ihrem Wahn das Haus an und sprang aus dem Fenster.«
Lee lachte laut.
»Das war äußerst dramatisch«, empörte ich mich. »Deswegen konnte Jane Eyre ihren geliebten Mr Rochester nicht heiraten.«
Lee lachte weiter. »Dafür, dass du so müde bist, hast du ganz schön verquere Gedankengänge. Komm mit. Bei Felipe wird kein Mensch auf deine Haare achten.«
Felipe war eine exklusive Bar in einem Keller. Wahrscheinlich hatte hier in dem Haus früher ein armer Schuster seine acht Kinder großgezogen und in dem kleinen Kellerloch Schuhe geflickt. Jetzt hatte der Raum den Charme eines echt kolumbianischen Cafés. Ohne die Hitze und Mücken, dafür mit braunen Ledersesseln, einer hübschen Bar und strohgeflochtenen Paravents. An der Decke drehten sich träge ein paar
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