Die Pan-Trilogie, Band 1: Das geheime Vermächtnis des Pan (German Edition)
Nie.«
Darauf antwortete ich nicht. Was hätte ich schon sagen sollen? Zumal wir nur noch eineinhalb Jahre auf dem College hatten und sich dann unsere Wege trennen würden.
Zumindest war es das, was ich in diesem Moment glaubte.
SPRÜNGE
Irgendwie saß Lee ab sofort wie selbstverständlich mittags immer an unserem Tisch, stand in den Pausen bei uns und schloss sich uns auch bei den außerschulischen Treffen an. Er saß auch weiterhin neben mir. Manchmal hatte ich das Gefühl, alleine zu sitzen, denn es gab Stunden, da redeten wir nicht ein Wort miteinander. Ich konzentrierte mich auf den Unterricht und versuchte meinen Nachbarn aus meinem Bewusstsein zu drängen. Tatsache war, er war mir unheimlich geworden. Felicity schmachtete ihn nach wie vor an. Cynthia, Jack und Ava machten einen Bogen um ihn. Und mich ließen sie in Ruhe. Das war eine ganz neue Erfahrung für mich.
Drei Tage nach dem Vorfall mit Cynthia lud Jayden zu einem Spieleabend ein. Ich freute mich. Wir hatten immer viel Spaß mit seiner Play Station. Aus dem Karaoke-Singen waren Phyllis und ich stets als Sieger hervorgegangen.
»Von wegen Play Station«, sagte Jayden, als Phyllis sich entsprechend äußerte. »Ich habe gestern eine neue Wii bekommen. Wir machen die olympischen Spiele! Lee, du bist herzlich eingeladen. Mal sehen, ob du wirklich so sportlich bist, wie du aussiehst.«
Lee grinste. »Danke. Aber ich warne dich, ich kann ziemlich gut springen.«
Schlagartig verflog meine Vorfreude. Ich würde mich sowieso restlos blamieren. Und dann auch noch vor ihm! Vor allem in Sport. Mit 140 Pfund bei 5,6 Fuß (ein Meter siebzig!) war man nun mal keine Elfe. Da hatte Felicity schon recht.
»Corey!«, schrie plötzlich hinter unserem Grüppchen eine hohe Stimme. Seine kleine Stiefschwester Cheryl warf sich tränenüberströmt in Coreys Arme. Der sah ziemlich entsetzt aus. Ob über den aufgelösten Zustand seiner Schwester oder weil sich ein weibliches Wesen an seine Brust presste, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen.
»Was ist passiert, Cheryl?«, fragte er und tätschelte ihr ein wenig unbeholfen den Rücken. »Wie kommst du überhaupt hierher?«
»Er hat mit mir Schluss gemacht!«, heulte sie laut.
Um uns herum waren schon alle aufmerksam geworden. Jetzt lachten sie. Das konnte ich verstehen: Cheryl war gerade mal dreizehn.
Corey rollte über Cheryls Kopf hinweg mit den Augen, hielt sie aber weiter fest. »Wer hat mit dir Schluss gemacht?«, fragte er seufzend.
»Kevin! Er sagt, ich sei ihm zu prüde. Er will lieber eine Frau, die Bescheid weiß.«
Ich wechselte mit Phyllis einen ungläubigen Blick.
»Wie alt ist dieser Kevin?«, fragte Nicole.
Cheryl löste sich von der Brust ihres Stiefbruders und sah sie mit rot verquollenen Augen an. »Fünfzehn.«
Nicole schnaubte verächtlich. »Lass ihn gehen. Als ob eine richtige Frau etwas von so einem Grünschnabel wissen will.«
Cheryl zog geräuschvoll ihre Nase hoch. »Meinst du? Aber er wirkt schon so erwachsen!«
Wenn man dreizehn ist, wirken Fünfzehnjährige wohl tatsächlich erwachsen, überlegte ich.
»Ist er aber nicht«, erklärte Jayden fest. »Glaub mir, Fünfzehnjährige tun gern so, sind aber eher wie Zwölfjährige.«
Cheryl schniefte wieder und sah Jayden hoffnungsvoll an. »Aber er steht schon auf Muse und U2.«
Lee reichte ihr ein Taschentuch. »Das heißt nichts. Deren Musik ist zeitlos.«
Cheryl nahm das Taschentuch – ein Stofftaschentuch! – und sah erst dann auf. Als sie Lee sah, weiteten sich ihre Augen und ihr Mund formte ein erstauntes O. Damit hatte sie exakt den gleichen Gesichtsausdruck wie Nicole und Phyllis, als die Lee zum ersten Mal erblickt hatten. Genau, wie jeder andere, der Lee zum ersten Mal sah.
»Wer bist denn du?«, fragte sie ziemlich plump, nachdem sie trompetend in das Taschentuch geschnäuzt hatte.
»Das ist Lee, Cheryl«, erklärte Corey, offensichtlich froh über den Themenwechsel. »Äh, Lee, meine kleine Schwester Cheryl.«
»Stiefschwester«, fügte sie schnell hinzu. »Wenn Corey mein richtiger Bruder wäre, würden wir uns bestimmt nur zanken.«
Tatsächlich verstanden sie und Corey sich recht gut – dafür, dass sie Stiefgeschwister waren. Seine Mutter und Cheryls Vater hatten vor zwei Monaten geheiratet, nachdem sie zwei Jahre zusammen gelebt hatten. Phyllis war davon überzeugt, dass Cheryl nicht nur die
Stief
schwester war, sondern Corey auch von dem neuen Mann abstammte. Dass seine Mutter also damals ein Verhältnis
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