Die Pan-Trilogie, Band 1: Das geheime Vermächtnis des Pan (German Edition)
gehabt hatte, aus der Corey hervorgegangen war. Diese kühne Vermutung hatte sie allerdings nur mir und Nicole gegenüber geäußert. Ich bezweifelte das. Corey sah definitiv aus wie Reverend McKenna, sein Vater.
Lee nickte ihr freundlich zu und wies das nasse Taschentuch, das sie ihm hinhielt, ab. »Behalt es. Ich hab noch eins.«
»Wie kommst du überhaupt hierher?«, wiederholte Corey seine Frage.
»Mit dem Bus. Hör mal, kann ich ein Foto von dir mit meinem Handy machen?«, fragte Cheryl Lee.
»Weshalb?«, wollte Corey alarmiert wissen.
»Na, um Kevin eifersüchtig zu machen. Ich behaupte einfach, Lee ist ganz verrückt nach mir. Das wird Kevin zur Weißglut treiben.«
»Cheryl, das wird nicht funktionieren«, sagte Jayden trocken.
»Und wieso nicht?«, fauchte sie ihn an.
»Herrgott, du bist erst Dreizehn!«, rief Corey. »Du trägst noch eine Schuluniform!«
Sie war zwar erst Dreizehn, aber mit ihrer gut entwickelten Brust, den gestylten Haaren und dem ganzen Make-Up im Gesicht sah sie wesentlich älter aus. Wenn ihre Augen nicht so kindlich rund gewesen wären, hätte sie durchaus als erwachsen durchgehen können. Zumal sie mit ihren roten Locken – die Coreys nicht unähnlich waren – eine auffällige Erscheinung war, und eine sehr hübsche dazu. Die Schuluniform ließ sie wie eine Lolita wirken. Ich betrachtete Cheryl genauer: Ihr Liebeskummer war schlagartig gewichen und sie himmelte Lee an. Der ignorierte sie jedoch und unterhielt sich mit Jayden über Computerspiele.
»Cheryl, geh wieder zurück zu deiner Schule«, drängte Corey. Der Schulgong hatte eben ertönt und das Ende der Pause verkündet. »Du bekommst Ärger. Mehr als wir hier am College. Das weißt du genau.«
Sie sah konzentriert auf das Display ihres Handys mit dem sie Lee mehrere Male fotografiert hatte. »Mist. Das blöde Ding gibt den Geist auf«, murmelte sie ungehalten. »Ich war mir sicher, er hat direkt in die Kamera gesehen.«
»Zeig mal her«, sagte Nicole neben mir und nahm ihr das Telefon aus der Hand. Ich sah neugierig auf das moderne Gerät und auf die tollen Farben, die das Display darstellte, ehe mir aufging, was und wen es zeigte .
»Das ist ja krass«, murmelte Nicole verwundert und sah mich an. »Er sieht immer in eine bestimmte Richtung auf den Fotos.«
Sie richtete das Gerät auf Lee, betätigte den Auslöser und wir beide warteten auf das Ergebnis. Nicole und ich sahen uns groß an. Lee hatte mit Jayden gesprochen. Aber auf dem Foto sah er schon wieder in die andere Richtung.
»Er sieht immer dahin, wo du stehst«, sagte Nicole leise.
Genau das war mir auch aufgefallen. In meinem Magen breitete sich ein seltsames Gefühl aus; beileibe kein Angenehmes.
Ich hatte bei Jaydens Olympia-Party kneifen wollen – wie er es nannte. Aber Phyllis sagte nur ein Wort: Pub. Sie hatte Recht. Entweder ich ging zu Jayden oder Mum würde mich im Pub verpflichten, wie so oft donnerstags. Und immer öfter in letzter Zeit. Einen kurzen Moment lang war ich versucht, den Pub vorzuziehen, aber dann schalt ich mich eine feige Kuh. Was sollt schon passieren? Ich konnte mich wohl kaum schlimmer blamieren als am Tag von Lees Ankunft oder vor Cynthia und dem Star Club. Ich zögerte allerdings bis halb sechs. Dann fasste ich mir ein Herz und machte mich auf den Weg.
Es war wieder ein wunderbarer Herbsttag. Die Sonne stand schon sehr tief und tauchte alles in ein goldenes, blendendes Licht. In dem einen oder anderen kleinen Park, an dem ich vorbeikam, leuchteten die Blätter rot und gelb und bedeckten die Wege. Ich beobachtete ein paar Tauben, die zwischen den Blättern pickten. Ich mochte Tauben. Sie waren so anmutig und ihr Gegurre empfand ich als beruhigend. Es erinnerte mich an Cornwall, an meinen Großvater, der Tauben gezüchtet hatte, und wie er vor ihrem Verschlag saß, auf jeder Schulter eine, auf den Knien ein paar und eine in der Hand, die er streichelte oder verarztete oder fütterte.
Plötzlich wandelte sich die Szene. Im einen Moment war der übliche Autolärm zu hören und die Abgase zu riechen, im nächsten stank es nach Fäkalien und Abwasser. Ich stand inmitten von Schlamm, meine Füße versanken im Morast und direkt vor mir befand sich eine baufällige Hütte. Die war allerdings bewohnt, denn aus dem Schornstein stieg Rauch empor und davor stand eine Frau in Lumpen gekleidet. Sie starrte mich groß an, als sei ich eine Erscheinung.
Doch sofort verschwamm alles und ich stand wieder in dem kleinen Park. Mitten in
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