Die Pan-Trilogie, Band 1: Das geheime Vermächtnis des Pan (German Edition)
ihn betrog?«
Lee zuckte zusammen. Ich sah ihn erstaunt an.
Und in diesem Moment geschah etwas Seltsames.
Der Raum um mich herum schien zu verschwimmen, aber als sich die Sicht klarte, waren auf einmal zwei Männer zu sehen. Der Raum hatte sich verändert. Die Throne und die Täfelung waren verschwunden, prachtvolle Gobelins schmückten stattdessen die verputzten Wände. Nur Lee stand noch immer neben mir. Die beiden Männer sprachen sehr seltsam, dann sahen sie uns und machten verwunderte Gesichter. Im nächsten Moment verschwamm wieder alles und wir befanden uns wieder in dem leeren Thronsaal mit der dunklen Wandtäfelung.
Lee sah mich durchdringend an. Ich schluckte. »Was?«, fragte ich erschrocken.
»Was hast du gerade gesehen?«
Sein scharfer Tonfall machte mir Angst. Auf einmal wusste ich wieder, warum ich ihn von Anfang an für sehr gefährlich gehalten hatte. Seine blauen Augen waren so stechend wie Eiszapfen. Deshalb versuchte ich so überzeugend wie möglich zu lügen.
»Ich habe mir die Stühle hier angeschaut. Ist dir mal aufgefallen, dass sich dieses Muster ständig wiederholt?« Ich deutete auf das Relief des Holzes.
Lee war nicht überzeugt. »Sonst hast du nichts gesehen?«
»Doch«, sagte ich und wurde etwas pampig, weil ich merkte, dass er mir nicht glaubte. Ausgerechnet er, der mir ständig nicht die Wahrheit sagte. »Der kleine Junge da hinten könnte mal wieder aufhören in der Nase zu bohren.«
Er sah zu dem vierjährigen Knirps, der seinen rechten Zeigefinger bis zu Anschlag im Nasenloch versenkt hatte.
Ich grinste Lee unschuldig an. »Entzückend oder?«
Er lächelte, aber es war ein sehr zaghaftes Lächeln. Beim Weitergehen fühlte ich ständig seinen prüfenden Blick auf mir. Ich gab mir Mühe, ihn zu ignorieren und plapperte munter weiter.
Als wir endlich auf diesem Laufband an den Kronjuwelen vorbeifuhren, geschah wieder etwas Unerwartetes. Auf der Höhe des Zepters bestaunte ich den größten Diamanten der Welt, den großen Stern von Afrika. Als Lee auf dessen Höhe war, blitzte der Diamant kurz auf. Einen Moment lang glaubte ich, einer der vor uns fahrenden Touristen hätte unerlaubterweise einen Fotoapparat benutzt. Anscheinend dachten das auch die Wächter, denn sie inspizierten sofort jeden von uns. Aber niemand hatte einen Fotoapparat griffbereit. Nur ich hatte das wahre Aufblitzen gesehen.
Dachte ich zumindest, bis der kleine Nasenbohrer rief: »Mama, wenn der Mann da den Diamant anschaut, leuchtet der.«
Alle Umstehenden lachten über die große Fantasie des Zwergs. Ich nicht. Ich sah Lee an, doch der beachtete mich gar nicht. Er lächelte belustigt und zwinkerte dem Kleinen fröhlich zu.
Für den Rest der Führung war ich sehr reserviert. Ich wusste, dass Lee es merkte. Er selber war auch verhaltener, obwohl er sich mehr Mühe gab, es zu überspielen. Ich dagegen konnte nicht schauspielern. Mich beschäftigte andauernd ein Gedanke: Was geschah hier? Wer war er? Was hatte er mit diesem seltsamen Geschehen zu tun?
»Möchtest du nach Hause?«, fragte er bei einem Imbiss im Tower Café.
»Nein, eigentlich nicht«, antwortete ich sofort. Egal wie unheimlich er zeitweise war, er war einer von sieben Menschen, die sich in meiner Gesellschaft wohl zu fühlen schienen, und ich wollte diesen Luxus noch ein wenig genießen.
»Dann bleib bei mir«, bot er an.
»Was wird dein Dad sagen, wenn er eine Frau bei dir vorfindet?«
Lee grinste spitzbübisch. »Mach dir keine Gedanken. Ich bin erwachsen. Er wird bei deinem Anblick vielleicht die Augenbrauen hochziehen, aber kein Wort verlieren.«
Das glaubte ich gerne. Statt Claudia Schiffer würde er seinen vollkommenen Sohn mit Beth Ditto antreffen. Für Eltern bestimmt äußerst beruhigend.
»Danke.«
BERKELEY SQUARE
»Seid ihr etwa zusammen gekommen?«
Phyllis hatte mich bei der nächstbesten Gelegenheit auf das Mädchenklo gezerrt. Bei jedem anderen hätte ich gelogen. Aber nicht bei Phyllis. Also nickte ich und berichtete von Mums Verrat. Phyllis schlug entsetzt beide Hände vor den Mund. Zu sehen, wie sehr sie sich für mich aufregte, tat wirklich gut.
»Du ziehst zu mir«, sagte sie, als sie mit ihrer Tirade fertig war. »Du kannst Veras Zimmer haben.«
»Hat deine Mutter da jetzt nicht ein Atelier drin?«, fragte ich vorsichtig.
»Klar, aber das hier ist ein Notfall. Dafür räumt sie es.«
Für Phyllis stand das absolut fest und ich hätte ihr Angebot auch angenommen, wenn nicht … »Lass mal deiner Mutter
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