Die Pan-Trilogie, Band 1: Das geheime Vermächtnis des Pan (German Edition)
Mann wohl aus, der einen so hübschen Sohn hatte? Leise schlug ich meine Decken zurück und öffnete die Tür einen Spalt. Der Flur war verlassen und dunkel, aber das Wispern war noch immer zu hören.
Es waren eindeutig mehr als zwei Stimmen. Vielleicht der hübsche Cousin, von dem Lee mir erzählt hatte? Von der Treppe her war ein seltsam grünes Licht zu sehen. Weihnachtsbeleuchtung? Aber nein. In dieser Richtung befand sich kein Fenster und Lee hatte nirgendwo etwas geschmückt. Ich schlich auf den Flur. Das Wispern kam eindeutig aus Richtung des grünen Lichts. Waren etwa Einbrecher im Haus? Ausgeschlossen war das nicht. Jeder Beobachter sah einen jungen Mann alleine das Haus betreten oder verlassen. Leichte Beute. Und bei den ganzen Antiquitäten, die hier herumstanden, eine verlockende.
Das Wispern wurde etwas lauter. Aber ich konnte kein Wort verstehen. Es klang gälisch oder walisisch und ich beherrschte beides nicht. Das grüne Licht war wie von Nebel gedämpft. Mit klopfendem Herzen überlegte ich: Situation a) walisische, irische oder schottische Einbrecher standen auf der Treppe, b) der Geist eines ehemaligen Hausbesitzers weinte auf der Treppe alten Zeiten nach, c) Lees Vater hatte seinerseits eine Freundin dabei, die Schottin, Irin oder Waliserin war, d) keine Ahnung. Meine Phantasie ließ mich im Stich.
Davon abgesehen war keine der genannten Situationen wünschenswert. Aber Lees Vater zu sehen, lockte doch arg. Mein Herzschlag übertönte beinahe die flüsternden Stimmen und ich bemühte mich, so flach wie möglich zu. Ich schielte um die Ecke, die Treppe hinunter. Niemand da. Zumindest kein Mensch. Nur grünes Licht. Neugierig beugte ich mich weiter vor – das Licht kam anscheinend aus der Wand. Die Wand strahlte grünes Licht ab? Doch dann ging mir auf, woher das Licht kam und auch das Flüstern.
Das Bild mit den Faunen und Elfen war zum Leben erwacht.
Ich schlug die Augen auf und wusste, etwas war geschehen. Dann fiel es mir wieder ein: In der Nacht war das Bild mit den Elfen in diesem riesigen barocken Rahmen zum Leben erwacht. Die Elfen hatten in einer fremden Sprache geflüstert und waren umhergeschwirrt mit ihren libellenartigen Flügeln. Ich sah an die Kassettendecke mit dem Kronleuchter, dann zu den schweren, grün-goldenen Damastvorhängen. Ich war in einem Museum. Und mittlerweile träumte ich schon von Gemälden, die zum Leben erwachen. Reiß dich zusammen, Felicity, sagte ich mir und stand auf. Da klopfte es an der Tür.
»Fay? Bist du wach?«
»Ich muss mich noch anziehen«, antwortete ich Lee.
»Okay, ich warte in der Küche auf dich.«
Meine Güte, wer uns nicht kannte, konnte glauben, wir wären Geschwister. Oder ein lang verheiratetes Ehepaar.
Als ich in die Küche kam, hatte Lee bereits eine dampfende Tasse Kaffee vor sich stehen und studierte die Morgenzeitung. Lang verheiratetes Ehepaar, schoss mir wieder durch den Kopf.
Er sah auf und grinste. »Morgen. Möchtest du auch Kaffee?«
»Bleib sitzen. Ich bediene mich selber.«
Keine Frage, er genoss unser Zusammenleben. Vielleicht war er doch wesentlich einsamer als bislang angenommen. Immerhin hatte ich Mum. Ich wohnte jetzt schon über eine Woche bei ihm und sein Vater hatte sich genauso wenig bei ihm gemeldet wie meine Mutter bei mir. Normalerweise frühstückten Mum und ich am Wochenende gemeinsam. Dann konnten wir in Ruhe miteinander reden, wozu wir die Woche über keine Zeit hatten.
»Kann ich die Stellenanzeigen haben?«, fragte ich, als ich mich mit meiner Tasse Kaffee zu ihm setzte und einen Toast bestrich.
Lee sah mich alarmiert an. »Du willst doch wohl nicht das College abbrechen?«, sagte er vorwurfsvoll.
»Nein. Aber ich brauche einen Job, um Geld fürs Studium zu verdienen.« Ich konzentrierte meinen Blick auf den Toast. »Ich will nicht mehr für Mum arbeiten. Nicht, weil ich nichts verdient habe, sondern weil sie mich belogen hat. Wenn sie mir die Wahrheit gesagt und mich ums Geld gebeten hätte, hätte ich es ihr gegeben. Aber sie hat mich belogen, bestohlen und hintergangen.«
So, jetzt war es raus. Ich konnte das Ticken der alten Wanduhr aus dem Salon nebenan hören und den Verkehr draußen auf der Straße. Dann raschelte Papier. Lee reichte mir ein paar Seiten der Times. Und lächelte mich mit einem umwerfend strahlenden Lächeln an.
»Die suchen eine Bedienung im Old Marquess. Wäre das was für dich?«
Das bezweifelte ich. Das Marquess war eine der meistbesuchten Kneipen Londons direkt am
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