Die Papiermacherin
Gedränge, das jedoch immer wieder vermögende Rhomäer, die bei einem der Pferderennen im Hippodrom zuschauen und sich vielleicht an den eigentlich verbotenen Wetten beteiligen wollten, an Lis Papiermacherwerkstatt vorbeiführte und sogar zu ihren Kunden machte. Papiere für unterschiedlichste Zwecke wurden dann bei ihr gekauft. Manch einer wählte einen Bogen für einen gefühlvollen Brief mit schönem Wasserzeichen, der sich gut falten und versiegeln ließ, andere betrieben eine Buchbinderwerkstatt und wollten es einmal mit ihrem Material versuchen oder brauchten als Kaufleute besonders lange Bogen zum Erstellen verschiedener Warenlisten.
Da Li ihre Arbeit ohnehin kaum schaffte, vermied sie es, auf ihr Gewerbe übermäßig aufmerksam zu machen, denn das hätte nur dazu geführt, noch mehr Aufträge ablehnen und Kunden verärgern zu müssen. Die einflussreiche Gilde der Gerber, die das Papier als Konkurrenz zum Pergament ansah und für ein baldiges Verbot der Papiereinfuhr auf arabischen Schiffen eintrat, hatte es durchgesetzt, dass Li keine Lehrlinge und Gesellen ausbilden durfte. Allerlei fadenscheinige Argumente mussten dafür herhalten, ihr dies zu untersagen. Zuerst hatte man behauptet, sie sei keine Christin, bis der Priester vor dem Gildengericht in aller Form bestätigte, dass sie unter der großen Kuppel der Hagia Sophia getauft wurde, in der sich Sonntag für Sonntag die Rhomäer zum Gottesdienst versammelten. Zeugen aufzubieten, die bei dieser Taufe anwesend waren und sich daran erinnerten, hatte keine große Schwierigkeit bedeutet. Ein weiteres Argument war gewesen, dass sie eine Frau war. Ragnar der Weitgereiste, ihr einflussreicher Förderer, gab ihr daraufhin den Hinweis, dass sich schließlich auch die Huren von Konstantinopel in Gilden organisierten und in aller Selbstverständlichkeit den Nachwuchs ihrer Profession ausbildeten, obwohl es sich unzweifelhaft um Frauen handelte, wie er aus eigener Anschauung bezeugen könne.
Doch dieses Argument ließ das Gildengericht ebenfalls nicht gelten. Welche Kräfte genau bestrebt waren, sie klein zu halten, war wohl nicht bis ins Letzte zu ermitteln. Ragnar riet ihr, die Sache nicht bis vor ein höheres Gericht zu verfolgen und durchzufechten. »Eines Tages werden die Logotheten und Schreiber des Kaisers so sehr auf dein Papier angewiesen sein, dass sie selbst für dich die Trommel rühren, um Lehrlinge anzuwerben!«, war er überzeugt. »Du brauchst nur etwas Geduld. Ich glaube daran, denn andernfalls hätte ich dir nicht für eine relativ geringe Beteiligung an deinem Gewinn mein altes Lagerhaus als Werkstatt überlassen!«
»Wofür ich Euch ewig dankbar sein werde, Ragnar.«
»Ich brauche deine Dankbarkeit nicht, sondern bevorzuge dein Silber. Und solange das fließt, werden wir voneinander profitieren, Evangelia.«
Evangelia – so nannte sie sich nun. Ragnar hatte ihr geraten, sich einen einheimischen, gut aussprechbaren Namen zu wählen. »Es reicht schon, dass deine Augen fremdartig erscheinen«, wusste er, »da braucht es nicht noch einen Namen, der so kurz und flüchtig ist, dass selbst ein Hund nicht darauf hören könnte, weil er schon verklungen ist, bevor er ins Ohr gelangt!«
Und so war ihre Wahl auf Evangelia gefallen, was Gute Nachricht bedeutete und damit in gewisser Weise eine Auflehnung gegen ihr bisheriges, von schlechten Nachrichten allzu sehr geprägtes Schicksal darstellte. Evangelia – das enthielt nicht nur die einzige Silbe ihres Han-Namens, den sie sich im Herzen immer bewahren würde, schon im Andenken an ihren Vater, sondern erinnerte auch an die vier Evangelien der Heiligen Schrift, die vom Leben und Wirken Jesu Christi berichteten und aus denen der Priester in der Kirche vorzulesen pflegte. In den christlichen Ländern galt diese Schrift als das Buch schlechthin und stand schon deshalb in enger Beziehung zu ihrer Handwerkskunst.
Unzählige Szenen aus diesen Evangelien konnte man in den Kirchen der Stadt oder in privaten Schreinen ihrer Einwohner auf Bildern sehen. Ikonen, wie die Christen von Konstantinopel dazu sagten. Während der Islam in der bildlichen Darstellung des Menschen sehr zurückhaltend war und sie weitestgehend mied, schien man im größten Reich der Christenheit genau den gegenteiligen Maximen zu folgen. Manche Bilder erfuhren selbst bereits eine Verehrung, die einem Muslim wohl als Götzendienerei erscheinen musste und Li manchmal an die Ahnenschreine in ihrer Heimat erinnerte.
Aber obwohl Li fand,
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