Die Papiermacherin
Männer rief etwas auf Griechisch, und Li antwortete ihm. Arnulf verstand nicht, was gesagt wurde. Er begriff nur, dass es sich um irgendeine Anweisung handeln musste. Sie ging kurz in den zweiten Raum und sah, was die Tagelöhner bisher geschafft hatten.
Wie sehr hat sie sich verändert!, dachte Arnulf. Eine verschüchterte Gefangene, die gezwungen war, für ihre Herren zu arbeiten, hatte sich – offenbar dank ihres Talents – selbst in kleinem Rahmen zu einer Herrin gewandelt, die darauf achtete, dass Anweisungen akkurat so ausgeführt wurden, wie sie es für nötig hielt. Ihre Stimme klang dabei trotzdem stets freundlich und weich – aber gleichzeitig sprach sie mit großer Bestimmtheit und Klarheit. Da er ihre Worte nicht verstand, fiel ihm dies jetzt besonders auf.
»Habt Ihr das Land der Eisenberge gefunden?«, fragte Li an Arnulf gewandt.
»Ja, das habe ich – wir wurden von Thorkild Eisenbringer überfallen, und dabei starb mein Knappe.«
»Das tut mir leid.«
»Eure Warnung hätte ich mir mehr zu Herzen nehmen sollen. Aber erzählt mir von Euch. Wie kommt Ihr aus diesem elenden Verschlag in Samarkand hierher?«
»Das ist eine lange Geschichte – und auf der letzten Etappe dieses Wegs habe ich alle verloren, die mir lieb und teuer waren. Ich bin zusammen mit Ragnar dem Weitgereisten nach Konstantinopel gekommen, einem Händler, dem ich mich in Jerusalem anschloss. Ragnar ist ein Veteran der Warägergarde und unterhält Verbindungen bis in höchste Kreise des Palastes. Man sagt, dass ihm mehr als einer der obersten Logotheten finanziell verpflichtet ist und er dem Kaiser einst das Leben rettete. Diese Verbindungen waren es, die es mir ermöglichten, diese Werkstatt aufzubauen. Einige Proben meines Talents gelangten an höchste Stellen und fanden Gefallen. Jetzt kann ich mich vor lauter Arbeit kaum retten, denn diese Stadt hat einen großen Hof mit so vielen Schreibern, dass es kaum zu fassen ist, wie wenig hier bisher über die Herstellung von Papier bekannt war …« Sie schluckte, und ihr Gesicht veränderte sich. Ein Anflug von Traurigkeit überschattete ihre Züge, auch wenn sie sich Mühe gab, ihr verhaltenes Lächeln zu bewahren. »Nur schade, dass mein Vater dies nicht mehr erleben kann.«
»Was ist mit ihm geschehen?«, fragte Arnulf.
»Ein schlimmes Fieber suchte Jerusalem heim. Sowohl mein Vater als auch sein Geselle Gao sind ihm zum Opfer gefallen – und mit ihnen viele andere Menschen in der Stadt. Aber ich versuche, nicht in die Vergangenheit zu blicken, sondern in die Zukunft und das Gute zu sehen, das der Herr für uns bereithält.«
»Es ist eigenartig, Euch auf diese Weise reden zu hören«, fand Arnulf.
Sie berührte das silberne Amulett um ihren Hals. »Ich habe mich taufen lassen«, sagte sie. »Ich glaube inzwischen nicht mehr, dass irgendein Gott bereit ist, das Leiden des Menschen zu beseitigen. Aber der Gott der Christen hilft einem, es leichter zu ertragen, weil er Mensch wurde und selbst gelitten hat …«
»Da mögt Ihr Recht haben«, gab Arnulf zurück. »Obwohl ich gestehen muss, mir über diese Dinge nie so tiefgehende Gedanken gemacht zu haben.«
In diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen, und zwei Männer kamen herein, die über und über mit Lumpen beladen waren, sodass sie darunter fast verschwanden.
Li wies ihnen eine freie Ecke innerhalb der Werkstatt zu, in die sie die Lumpen ablegen sollten, und bezahlte sie anschließend mit ein paar Kupfermünzen, wobei sie einige Worte auf Griechisch mit ihnen wechselte.
Auch diese Männer waren offenbar Tagelöhner, wie sie von einer Stadt wie Konstantinopel zu Tausenden angezogen wurden und sonst zumeist im Hafen ihr Auskommen fanden.
»Ich sehe, Ihr habt viel Arbeit«, sagte Arnulf.
Sie sah ihn an, und ihre Blicke verschmolzen für einen kurzen Moment. »Wie lange beabsichtigt Ihr, in Konstantinopel zu bleiben?«, fragte Li dann. Ihr Latein wirkte plötzlich unsicher, und sie begann, sich zu verhaspeln.
»Das steht noch nicht genau fest«, antwortete Arnulf. »Zumindest eine Weile.«
»Dann muss ich Euch ein zweites Mal davor warnen, Thorkild Eisenbringer zu begegnen.«
»Wie kommt Ihr darauf?«
»Ich habe mich bei Ragnar dem Weitgereisten über ihn erkundigt. Die beiden kennen sich gut. Wenn Thorkild Eisenbringer selbst über die Flüsse, die durch das Land der Rus führen, in die Heimat der Nordmänner fährt, dann reist er auf dem Rückweg über Konstantinopel, bevor er sich wieder zu den
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