Die Papiermacherin
Eisenberge fern!«
Li drehte sich um, denn inzwischen waren auch andere Bewohner des Gasthauses wach geworden. Sie hörte schon die durchdringende Stimme von Nedjans Frau, die ihren Mann aufscheuchte. Es fehlte gerade noch, dass der Wirt sie hier sah! »Viel Glück – Arnulf!«, sagte sie und wandte sich ihm dabei halb zu.
»Warte!« Er folgte ihr zwei Schritte. »Du kennst meinen Namen – aber ich den deinen noch nicht!«
Sie drehte sich noch einmal um.
»Li«, sagte sie. »Ich heiße Li. Aber das ist ohne Bedeutung, denn wir werden uns nie wieder begegnen.«
Fra Branaguorno fasste Arnulf bei der Schulter, sprach ein paar Worte im Dialekt von Saxland zu ihm und wandte sich dann in Lis Richtung. In seinem fließenden Persisch sagte er: »Halt uns nicht länger auf und vergiss am besten, dass du uns je begegnet bist!«
Li eilte die Straße hinunter und wartete dann an der nächsten Ecke, wo es in eine der dunklen Nebengassen hineinging. Eigentlich wäre es das Beste gewesen, so schnell wie möglich zur Werkstatt zurückzukehren und darauf zu hoffen, dass sie außer von Arnulf und Fra Branaguorno von niemandem bemerkt worden war. Aber irgendetwas hielt sie dort. Für einen Moment kam ihr ein Gedanke, der ihr völlig absurd erschien. Was wäre, wenn ich einfach zu diesem Fremden auf das Pferd steigen und mit ihm davonreiten würde – mochte dies auch ein Ritt in völlige Ungewissheit sein?
Sie beobachtete, wie die Pferde aus dem Stall geholt wurden und die drei Fremden alles für die Reise vorbereiteten. Der Junge hatte offenbar bereits Arnulfs Sachen mitgebracht, sodass dieser draußen auf der Straße Lederwams, Stiefel, Umhang und Helm anlegte.
Wenig später stand Nedjan auf der Straße und zeterte laut herum. Fra Branaguorno warf ihm ein paar Münzen zu, die der Wirt aus der Luft fing, woraufhin er sehr viel ruhiger wurde. Selbst der Anblick des Toten schien ihn jetzt nicht mehr sonderlich zu beunruhigen. Er rief zwei Stallburschen herbei und wies sie an, ihn in eine der dunklen Gassen zu tragen, wo man ihn am Morgen finden und wohl für das Opfer eines Raubüberfalls halten würde.
Die drei Reiter preschten davon. Am Ende der Straße zügelte Arnulf noch einmal sein Pferd. Er drehte sich kurz im Sattel um. Er ließ suchend den Blick schweifen, dann verschwanden alle drei Reiter im Dunkel einer Nebenstraße.
Zehntes Kapitel
Ritt in die Eisenberge
Wie ein geschmolzener Brocken Erz wirkte die Sonne, als sie im Osten über den von schroffen Bergmassiven gezeichneten Horizont kroch.
Arnulf von Ellingen und seine beiden Begleiter waren die ganze Nacht durchgeritten, ohne ihren Pferden auch nur eine einzige Pause zu gönnen. Jetzt erreichten sie einen Flusslauf, der allerdings so wenig Wasser führte, dass er einem Rinnsal glich.
Dass er zumindest zeitweilig sehr viel breiter war, konnte man an der Landschaft und der Beschaffenheit von Boden und Pflanzenbewuchs deutlich sehen.
Arnulf zügelte sein Pferd und stieg ab. Die anderen folgten seinem Beispiel – denn hier sollten die Tiere erst mal ordentlich saufen. Und nebenbei ließen sich auch die ledernen Wasserschläuche auffüllen, die die Reiter auf ihre Reise in die Ungewissheit mitführten. In der Eile ihres Aufbruchs hatten sie keine Zeit mehr gehabt, sie zu füllen, wie man es vor Antritt eines längeren Ritts ansonsten tat.
Sie führten die Pferde zum Flussufer.
Seit ihrem Aufbruch aus Samarkand hatten die drei noch keine Gelegenheit gehabt, mehr als ein paar Worte miteinander zu wechseln, die sie sich während des Ritts gegenseitig zuriefen. Und dabei ging es vornehmlich um die Richtung, die sie einschlagen mussten.
Aber das Wichtigste war wohl, dass sie Samarkand erst einmal weit hinter sich gelassen hatten. Bisher gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass irgendjemand ihnen gefolgt war – auch wenn Gero immer wieder sorgenvoll zurückblickte, als erwartete er jederzeit, dass dort ein berittener Trupp auftauchte oder gar eine Horde wilder Nordmänner unter der Führung des berüchtigten Thorkild Larsson Eisenbringer, der angeblich ihren Tod wollte.
Arnulf blickte zu den Bergen. Irgendwo dort lag Tukharistan, das Land der Eisenberge. Und nach allem, was sie in Samarkand erfahren hatten, waren sie zumindest auf der richtigen Spur. Der Mordanschlag in Nedjans Herberge war dafür letztlich nur eine Bestätigung – vorausgesetzt, es stimmte, dass der Kerl, der mitten in der Nacht in ihre Unterkunft eindrang, tatsächlich von
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