Die Papiermacherin
unempfindlich gegenüber ihrer beredten Verhandlungstaktik.
Jamal war das schnell aufgefallen. Er hatte Li anfangs bei solchen Anlässen begleitet, aber offenkundig nie besonders viel Lust dazu gehabt. »Du kannst das am besten. Wenn ich daneben stehe, glauben sie dir die stumme, sprachlose Frau nicht, also geh in Zukunft besser allein. Du musst nur mit Firuz genau abrechnen, wie viele Münzen du ausgegeben hast!« Und als er Lis überraschten Blick sah, fügte er hinzu: »Es gab schon Sklaven, die für Kalifen als Wesire dienten und ganze Länder in ihrem Auftrag regierten, da wirst du ja wohl ein paar Münzen für deinen Herrn ausgeben können. Es sei denn, du hast vor, mit diesen wertvollen Lumpen durchzubrennen!«
Und so ließ er sie von nun an allein in die Altstadt von Jerusalem gehen, wenn etwas zu besorgen war.
Haschisch boten zahlreiche Händler an. Bei manchen konnte man sogar zusehen, wie sie diese Arznei herstellten, wie sie den Harz der weiblichen Hanfpflanze herauspressten und ihn in eine Form brachten, die gut einzunehmen war. Man konnte das Haschisch mit Getreide verbacken oder es in Flüssigkeit auflösen und trinken. Oder man verbrannte es mit Weihrauch und atmete es ein, aber da Gao ohnehin Schwierigkeiten mit der Atmung hatte und Weihrauch zudem sehr viel teurer war, kam dies nicht in Frage. Es gab Geschichten über Karawanenführer, die das Haschisch in reiner Form den Kamelen in die Nasenlöcher steckten, um sie bei einem aufziehenden Sandsturm zu beruhigen.
Schließlich fanden sie in einer Gasse nahe der Grabeskirche einen Händler, mit dem sie sich einig wurden.
In der Menge fiel Li eine Gruppe von christlichen Mönchen auf, die singend in Richtung der Grabeskirche gingen.
Für einen Moment glaubte Li unter den bärtigen Mönchsgesichtern jenes von Bruder Anastasius wiederzuerkennen. Sie wollte ihm folgen, um sich zu vergewissern, doch das Gedränge in der engen Gasse war zu groß. Eine Gruppe Männer und Frauen, die untereinander irgendeine Abart des Lateinischen sprachen, feilschten mit Hilfe von Händen und Füßen mit einem Händler, der allerlei angeblich heilige Fundstücke zum Verkauf anbot. Nägel, mit denen Jesus ans Kreuz geschlagen worden war, und Splitter aus den Kreuzesbalken, die man ganz in der Nähe gefunden hatte, auf dem Hügel Golgatha. »Also genau dort, wo jetzt die Kirche steht!«, sagte der Händler in einem Latein, bei dem sogar Li merkte, dass es falsch sein musste. Aber der Händler wurde von den Pilgern anscheinend gut verstanden, denn die griffen bereitwillig zu den Silbermünzen in ihren Börsen.
»Komm, Li, lass uns gehen!«, forderte Gao.
»Da war Bruder Anastasius!«
»Ach Li! Das war nur einer unter vielen Männern mit langen Bärten! Die sehen doch alle gleich aus. Du wirst dich vertan haben!«
»Das glaube ich nicht, Gao, sie sind sicher zur Grabeskirche gegangen. Vielleicht …« Noch einmal ließ sie suchend den Blick schweifen und stellte sich dabei auf die Zehenspitzen, aber von den singenden Mönchen war nichts mehr zu sehen. Ihre Gesänge vermischten sich mit dem Stimmengewirr und dem Lärm der Gasse und waren schließlich nicht mehr zu hören.
Li seufzte und sah Gao an. »Vielleicht nützt es etwas, wenn du dort betest, wo Jesus gekreuzigt wurde. Der Glaube an Mohammed hat dir nicht geholfen – genauso wenig wie die Medizin der Ärzte oder die Geister unserer Ahnen. Vielleicht ist dieser Glaube stärker!«
Aber Gao schüttelte den Kopf. »Nein, ich werde auf keinen Fall mit dir gehen«, erklärte er.
»Wieso nicht?«
»Du weißt doch, dass ich inzwischen Muslim bin …«
»Na und?«
»Und du weißt auch, dass ein Muslim, der zum Christentum übertritt, damit ein todeswürdiges Verbrechen begeht!«
»Wer sagt denn, dass du gleich Christ wirst?«
»Ich will aber auch nicht, dass jemand denkt, dass ich das tun wollte.«
»Dann werde ich allein gehen!«, kündigte Li an.
Licht drang durch hohe Fenster und schimmerte aus den Nischen, in denen Kerzen brannten. Li hatte das Eingangsatrium der Grabeskirche durchschritten und erreichte nun die Basilika. Staunend ließ sie den Blick durch den großen, von Säulen erfüllten Raum schweifen. Im Seitenschiff waren einige Mönche ins Gebet vertieft. Aber keiner von ihnen ähnelte Bruder Anastasius. War sie am Ende doch ihrem Wunschdenken erlegen? Vielleicht hatte Gao in diesem Punkt Recht. Und wenn schon!, dachte sie trotzig. Wenn er glaubte, dass es ihm als Muslim nicht erlaubt war, hier zu
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