Die Papiermacherin
gab es ein Schöpfbecken und gute Siebe. Und vor allem genug Lumpen, um daraus Papier zu machen. Bei der Presse musste man sich behelfen – das würde wohl auf absehbare Zeit so bleiben. Die Blätter trockneten wie gehabt zwischen je zwei Lagen aus Filz, die mit Steinen beschwert waren.
Li hatte ein Wasserzeichen entworfen, das die Kuppelform des Felsendoms nachbildete.
Meister Wang ließ das Blatt, das er gerade in der Hand hielt, plötzlich sinken. Er stützte sich an der Wand ab und wurde aschfahl. Schon vor einigen Tagen hatte Li bemerkt, dass es ihrem Vater nicht allzu gut ging, obwohl er das bestritt, wenn sie ihn darauf ansprach. Aber er wirkte matt und schwach.
Er hielt sich nun kurz den Bauch.
»Was ist mit dir, Vater?«
»Das wird das Essen der Araber sein. Es ist mir noch nie gut bekommen … Eine fade Küche ohne Geschmack! Aber das ist ja auch kein Wunder, weil sie alles so lange garen, bis es sich völlig zersetzt hat. Das Element des Feuers lockt geheime Kräfte hervor, so es in Maßen angewendet wird – doch es vertreibt diese guten Kräfte auch …«
Er versuchte, seinen Zustand zu überspielen, und vielleicht wäre ihm das bei jemand anderem gelungen. Schließlich behielt sein Gesicht auch jetzt einen Ausdruck von Gelassenheit und Ruhe, wenngleich er blass aussah und seine Augen auf eine ungesunde Weise zu glänzen begonnen hatten.
Aber Li konnte er nichts vormachen. Sie kannte ihren Vater gut genug, um zu wissen, wie es ihm wirklich ging.
»Du solltest etwas ausruhen«, sagte sie.
»Gao steht seit Tagen kaum noch auf – wie soll denn sonst die ganze Arbeit geschafft werden?«
»Wenn wir sie schaffen, dann wird nur Firuz den Nutzen daraus ziehen.«
»Wir auch!«, widersprach Meister Wang. »Papier zu machen ist das Einzige, was wir können. Solange wir noch in Xi Xia waren – und selbst in Samarkand! –, habe ich immer geglaubt, es sei eine Selbstverständlichkeit, dass jedermann die Wichtigkeit dieses Handwerks erkennt. Aber je weiter westlich man reist, desto weniger scheint sich diese Erkenntnis verbreitet zu haben …«
Am nächsten Tag ging es Meister Wang so schlecht, dass er nicht aufstehen konnte. Er fantasierte im Fieber und litt unter schrecklichen Leibschmerzen.
»Das muss das Fieber sein, das zurzeit in der Stadt grassiert«, meinte Li, als sie ihren Vater auf seinem Lager im Stall elend daliegen sah. »Ich werde zu Bruder Anastasius gehen, vielleicht wissen sie dort ein Mittel gegen diese Krankheit!«
»Hast du nicht gesagt, das Muristan sei ein Hospital für christliche Pilger?«, murmelte Meister Wang mit kaum hörbarer Stimme. »Die Christen verstehen noch weniger von der Medizin als die Muslime … Was für eine Hilfe kann man da erwarten?«
»Ich werde es trotzdem versuchen!«
»Du wirst dir nur selbst den Tod holen – weil diese Fieberarten ansteckend sind … Bruder Anastasius wird gewusst haben, weshalb du dort nicht hingehen sollst. So hast du es mir doch … berichtet …« Meister Wang sank auf sein Lager zurück und atmete schwer. Er schloss die glasigen Augen und hielt sich den Leib.
»Ruh dich aus, Vater«, sagte Li.
»Mir ist so kalt«, murmelte er vor sich hin, und Li holte eine zusätzliche Decke, die für die Pferde bestimmt war, und bedeckte ihn damit. Dann sah sie zu Gaos Lager hinüber, der sich in eine Ecke zurückgezogen hatte. Er lag auf dem Stroh, zusammengekrümmt und mit dem Gesicht zur Wand. Li war aufgefallen, dass er schon eine geraume Weile nicht mehr gehustet hatte. Eigentlich gab es selbst in der Nacht kaum eine Stunde, da man nicht seinen rasselnden Atem hörte.
Eine furchtbare Ahnung beschlich Li. Sie ging zu dem Lager des Gesellen, kniete nieder und fasste ihn an der Schulter. Sie drehte ihn herum. Ein Schwall von blutigem Schleim bedeckte den Mund, die Kleidung und auch den Boden. Seine Augen waren starr und tot.
Der Schrei blieb Li in der Kehle stecken. Sie war einen Moment lang wie gelähmt. Dann schloss sie Gao die Augen.
Mochte Allah es ihm lohnen, dass er die Offenbarung seines Propheten erkannt hatte – und mochte er ihn in sein Paradies aufnehmen, wie es jedem Muslim versprochen wurde.
Lis Lippen bebten. Tränen rannen ihr über das Gesicht.
Innerhalb der nächsten Tage kam das Leben in der Stadt fast ganz zum Erliegen. Das Fieber griff um sich und zwang viele Menschen auf ihr Lager. Man konnte ungehindert durch die Straßen gehen. Viele Händler hatten den Verkauf eingestellt und fluchtartig die
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