Die Papiermacherin
Fürsprecherin findet, wenn er in ein paar Monaten oder Jahren erneut nach Jerusalem kommt und mit Firuz ein Geschäft machen will!«
Li schluckte. Sie blickte zu ihrem toten Vater, während Jarmila bereits eine Decke auf einen der Pferderücken legte. »Nun hilf mir endlich, du Närrin! Du hast nur diese eine Möglichkeit zur Flucht! Oder ist es dir lieber zu warten, bis dich entweder das Fieber mit seinem üblen Atem anhaucht oder man dich totschlägt, weil sich überall herumgesprochen hat, dass du eine böse Dschinn-Frau bist?«
»Ich kann meinen Vater so nicht liegen lassen.«
»Um ihn wird man sich kümmern«, sagte Jarmila. »Aber du solltest nicht an die Toten denken, sondern an die Lebenden! Und jetzt hilf mir! Schlimmer als eine verfluchte Dschinn-Frau ist ein dummer Dschinn, der anscheinend von dir Besitz ergriffen hat!«
Einen Augenblick lang zögerte Li. Zu viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Es gab Momente, in denen sich alles änderte und nichts von dem, was einem zuvor gewiss erschien, seine Gewissheit behielt. Dies war wohl so ein Augenblick. »Vater …«, murmelte sie und berührte leicht seine Wange. Tränen glitzerten in ihren Augen. Dann stand sie auf und half Jarmila beim Satteln des Pferdes.
»Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll«, sagte Li schließlich, bevor sie sich in den Sattel schwang.
»Du brauchst mir gar nicht zu danken«, erwiderte Jarmila. »Ich tue das alles nicht für dich – sondern um meinetwillen.«
Ragnars Männer warteten, wie Jarmila es gesagt hatte, an den Mauern des Davidsturms. Offenbar hatte Jarmila verhindern wollen, dass irgendjemand sah, wie sie mit den Normannen die Stadt verließ.
Bruder Anastasius hatte sich bei der Gruppe eingefunden. Allerdings ritt er auf einem Esel. »Gerade so, wie es sich für jemanden geziemt, der es dem Beispiel unseres Herrn gleichtun will«, sagte er dazu.
»Ich möchte keine Zeit mehr verlieren«, erklärte Ragnar der Weitgereiste. »Der üble Atem der Pestilenz scheint hier aus allen Erdspalten hervorzuquellen, sodass man sich auf Dauer kaum davor schützen kann!«
Einmal noch, als sie die Stadttore bereits ein ganzes Stück hinter sich gelassen hatten, zügelte Li ihr Pferd und drehte sich um. Sie schaute zur Kuppel des Felsendoms und hörte den Muezzin die Gläubigen zum Gebet rufen.
Sie dachte an ihren Vater, an Gao, an ihr vergangenes Leben, an Samarkand und die Steppen von Xi Xia. Sie dachte auch an einen Ritter aus einem Land, in dem es Menschen mit grünen Augen gab. All diese Erinnerungen mischten sich und erschienen ihr auf seltsame Weise unwirklich und fern. Sie hielt die Tränen zurück. Nein, jetzt war keine Zeit, sich oder das Schicksal zu bedauern oder einen Gott dafür zu verfluchen, dass er ihr nicht geholfen hatte.
Bruder Anastasius lenkte seinen Esel neben ihr Pferd.
Er deutete auf eine Gruppe von Menschen, die sich auf die Stadt zubewegten. An den grauen Bußgewändern und den blauen Gürteln war zu erkennen, dass es sich wohl um christliche Pilger handelte. Der Wind trug ihre Gesänge an Lis Ohr.
»Präge dir gut ein, was du da siehst!«, sagte Bruder Anastasius. »Es gibt Menschen, die bereit sind, Tausende von Meilen zurückzulegen, nur um einmal jener Stadt ansichtig zu werden, in der du gelebt hast!«
»Ich habe dort alles verloren, was mir etwas bedeutete«, sagte Li. Aber sie war in Gedanken und benutzte deswegen die Sprache des Han-Volks, sodass der Mönch sie nicht verstand.
Fünfzehntes Kapitel
Konstantinopel
Arnulf von Ellingen stand an der Kaimauer im Hafen von Chrysopolis und blickte über die Meerenge nach Konstantinopel. Die Kuppel der Hagia Sophia war der unumstößliche Beweis dafür, dass er es wirklich geschafft hatte! Er atmete tief durch. Fast ein ganzes Jahr hatte er gebraucht, um sich aus den Bergen von Tukharistan bis hierher durchzuschlagen. Ein Krieg zwischen muslimischen Fürstenfamilien, die an und für sich alle dem Kalifen in Bagdad unterstellt waren, aber in Wahrheit längst ihre eigenen Reiche regierten und gegeneinander um die Vorherrschaft kämpften, war mit dafür verantwortlich, dass die Reise so lange gedauert hatte.
Abgerissen wie ein Bettler stand er da. Seine Kleidung starrte vor Dreck, der Umhang hatte Löcher, und der einzige wirklich wertvolle Besitz, über den er im Moment verfügte, war das Schwert aus unzerbrechlichem Stahl, das er bei seiner Flucht aus Thorkilds Lager erbeutet hatte. Auf dem langen Irrweg durch die Kysylkum
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