Die Papiermacherin
solche Weisheit?«
»So hat man es mir in Samarkand gesagt, wo ich für Koranexemplare der Medresen ähnliches Papier gestaltet habe!«
Firuz atmete tief durch. Li hatte ihn noch nie so niedergeschlagen gesehen. Er schien nicht einmal wütend darüber zu sein, dass Li die roten Alifs weggelassen hatte, weil ein Wasserzeichen eine auf das Wesentliche reduzierte Form haben sollte. Firuz war einfach von einer tiefen Traurigkeit und Abgeschlagenheit erfüllt, wobei Li zu spüren glaubte, dass dahinter noch etwas anderes steckte. »Es mag sein, dass die Korangelehrten hier in Jerusalem nicht dieselben Kenntnisse haben wie die Gelehrten in Samarkand, Buchara oder Bagdad. Ich mache dir auch keinen Vorwurf, sondern eher mir selbst, denn ich hätte auf diese Kleinigkeit achten sollen. Tatsache ist, dass jetzt darüber gestritten wird, ob dein Weglassen der Alifs einem falschen Zitieren des Korans gleichkommt. Und ein Falschzitieren des Korans ruft einer weit verbreiteten Meinung nach Dschinne herbei, deren Fluch man nicht wieder loswird …« Er ließ das Blatt los. Es glitt zu Boden. »Ich glaube nicht, dass in absehbarer Zeit hier in Jerusalem irgendeine Abschrift des Korans auf deinem Papier geschrieben werden wird, Basma …«
»Und wenn man ein Rechtsgutachten in dieser Sache einholt? Wenn man sich an den Kalifen wendet …«
Firuz lachte heiser. »An welchen denn? Den Schwächling in Bagdad, der nichts mehr zu sagen hat – oder den Kalifen in Kairo, der frommer als der Prophet selbst sein will und Juden und Christen in Zukunft Glocken tragen lassen will? Glaubst du, irgendjemanden interessiert es hier, was Gelehrte andernorts wissen? Die Menschen haben Angst vor dem Fluch einer schrecklichen Krankheit, die sie nicht erklären können, denn selbst unsere besten Ärzte wissen nicht alles! Und jetzt geh. Die Lumpen, die wir gesammelt haben, können wir als Almosen den Armen geben, damit Allah uns gnädig ist und Fadia nicht stirbt …«
»So schlimm steht es um sie?«
Er nickte stumm. Offenbar war er ihr stärker verbunden, als Li es bisher dem äußeren Anschein nach für möglich gehalten hatte.
Am nächsten Tag wachte Li in aller Frühe auf. Sie war schweißgebadet. Ein wirrer Alptraum hatte sie heimgesucht – oder eine düstere Ahnung. Die Sonne war gerade aufgegangen, und die ersten Strahlen schienen in den Stall herein. Ragnar und seine Normannen holten ihre Pferde und sattelten sie. Wenig später hörte Li, wie sie den Innenhof verließen. Ein halbes Dutzend Reiter, die ihren Pferden die Sporen gaben und auf die an der Küste ein Schiff wartete, das sie nach Konstantinopel bringen würde.
Dieser Ort erschien ihr einmal mehr wie ein Traum.
Er musste das westliche Gegenstück zum herrlichen Bian sein, von dem ihr Vater immer voller Ergriffenheit und Bewunderung geschwärmt hatte. Aber es war wohl ihr Schicksal, eines Tages die Augen zu schließen und keine der beiden erhabensten Städte dieser Welt gesehen zu haben, die zusammen eine große Waage im Gleichgewicht hielten.
Li stand auf und ging zum Lager ihres Vaters. Er atmete nicht mehr und schien friedlich eingeschlafen zu sein.
In diesem Moment hörte sie Schritte und ein knarrendes Geräusch. Ein Pferd schnaubte, als die Stalltür geöffnet wurde. Li drehte sich um – ganz unter dem Eindruck der schrecklichen Gewissheit, die sie nun hatte. Sie war in Zukunft allein und vollkommen auf sich gestellt. Nur mit Mühe konnte sie die Tränen zurückhalten.
Es war Jarmila, die den Stall betrat.
Sie blickte zuerst Li an, dann glitt ihr Blick zu Meister Wang. »Nicht nur du hast in dieser Nacht einen geliebten Menschen verloren«, sagte sie.
»Aber …« Li war einen Moment lang verwirrt. Dann ahnte sie, wovon Jarmila sprach. »Fadia?«
»Ja. Firuz wacht an ihrem Bett. Das hat er schon die letzten Tage über getan, und ich glaube, er wird eine ganze Weile an nichts anderes denken können als an seine Trauer. Aber es kommt der Tag, da er sie vergessen wird – und dann gehört sein Herz allein mir.«
»Jarmila, ich …«
»Spar dir deine Worte, Basma! Alles, was du sagen könntest, wäre unpassend und falsch. Hilf mir lieber, ein Pferd zu satteln.«
»Wie bitte?«
»Der Normanne wartet am Davidstor auf dich, wenn du dich beeilst. Er nimmt dich mit nach Konstantinopel.«
»Warum sollte er das tun?«
»Weil ich ihm dafür einen der Steine gegeben habe, die Firuz aus Indien mitgebracht hat. Und weil er weiß, dass er in mir immer eine
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