Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit
es sich nie so angefühlt, als wären wir gleich gewesen. Ich hatte immer das Gefühl, anders zu sein.«
»Aber du bist doch im gleichen Jahr wie ich geboren, wie ich in Kreuzberg aufgewachsen, auf die gleiche Schule gegangen, hast über die gleichen Witze gelacht.«
»Ich glaube, euch war damals nicht klar, dass meine Geschichte ganz anders war als eure. Vielleicht sollte ich mal von vorne anfangen.«
Ehsan war vier, als er mit den Eltern, dem Bruder und den beiden Schwestern am Flughafen von Frankfurt am Main ankam. Der Vater, ein Physiker, hatte während des Ersten Golfkriegs den Entschluss gefasst, nach Deutschland auszuwandern. Seine Schwester, Ehsans Tante, lebte bereits in Berlin. Ehsans Mutter war im Iran Lehrerin gewesen, hatte den Beruf aber aufgegeben, um sich um die vier Kinder zu kümmern. Wenn Ehsan an seine ersten vier Lebensjahre denkt, dann denkt er an Bombensirenen über Teheran. An das Fenster ihrer Wohnung, durch das er auf einen belebten Markt blickte. Und natürlich an Safranreis. Ehsans Mutter kocht den besten Safranreis der Welt, leichten, würzigen, mit Butter verfeinerten Safranreis. Das blieb auch in Deutschland so. Wenn ich nach der Schule zu Ehsan ging, gab es jedes Mal Safranreis. »Den macht sie auch heute noch«, sagt Ehsan, »das ist für mich der Geschmack von Heimat. Die liegt irgendwo zwischen Teheran und Berlin, schmeckt aber immer gleich.«
Als wir eingeschult wurden, war Ehsan also erst knapp zwei Jahre in Deutschland. Die Familie hatte gerade die enge Neubauwohnung gefunden, zuvor in einem Asylbewerberheim am Rand von Berlin gelebt. Ehsan sprach nur wenige Worte Deutsch, und die Worte, die er sprach, lispelte er. »Es war schwer in der ersten Klasse«, sagt er. Ich kann mich an seine Sprachprobleme überhaupt nicht erinnern. In meiner Erinnerung war Ehsan von Anfang an eine schelmisch grinsende Schildkröte. Er erzählte uns zwar später im Weltkundeunterricht, warum sein Vater den Iran verlassen wollte. Aber er erzählte nicht, dass die Flucht noch gar nicht lange zurücklag. Oder ich hörte damals nicht zu. Ich ahnte nicht, dass hier alles noch neu war für ihn. Ich ahnte nichts von dem 15-Quadratmeter-Zimmer im Heim, in dem die Familie viele Monate gelebt hatte. Ich ahnte nicht, dass Ehsan jeden Abend deutsche Vokabeln lernte. »Wahrscheinlich ist das niemandem aufgefallen, weil ich im Unterricht nie was gesagt habe. Und wenn wir Playstation gespielt haben, konnten wir uns ja gut verständigen.« In der zweiten Klasse, sagt Ehsan, sprach er schon besser Deutsch als mancher Deutscher. Dem Vater war das wichtig. »Meine Eltern sind Akademiker, die gehörten im Iran zur oberen Mittelschicht, die wollten, dass wir auch in Deutschland etwas schaffen. Dass wir jemand sind, respektiert werden. Mein Vater hat immer gesagt, wir müssten besser sein als die Deutschen, dann würden die uns auch akzeptieren. Deswegen haben meine Geschwister und ich uns auch schnell an das Leben hier angepasst.« Ehsans Schwestern passten sich wirklich vorbildlich an: Sie waren riesige Take-That-Fans, ihr gemeinsames Zimmer zierten lebensgroße Robbie-Williams-Plakate. Als die Band sich auflöste, verfielen die Schwestern für Tage in Klagegesänge. »Mein Vater und meine Mutter haben das alles hier nur für uns getan sie sprechen bis heute nicht richtig gut Deutsch, wichtig sei nur, dass wir Kinder gut Deutsch sprechen, findet mein Vater«, sagt Ehsan. Die Mutter blieb meist zuhause in den ersten Jahren, und wenn sie doch mal rausging, traf sie iranische Verwandte oder Bekannte. Der Vater führte einen Kiosk, in dem es für uns Gratis-Gummibärchen gab. »Das war natürlich unter seinem Niveau, aber in Deutschland wurden seine Abschlüsse nicht anerkannt, er konnte nicht in seinem geliebten Beruf arbeiten«, sagt Ehsan, »deswegen war uns Kindern auch klar, dass wir etwas Anständiges erreichen müssen, dass er alles aufgegeben hat, damit wir uns etwas aufbauen können.« Eine Schwester von Ehsan ist heute Anwältin, lebt in Baden-Württemberg. Die andere arbeitet als Immobilienmaklerin, hat zwei Kinder. Der Bruder besitzt ein eigenes Logistikunternehmen, ist gerade ebenfalls Vater geworden. Und Ehsan? Er sagt: »Ich hätte meinen Vater fast enttäuscht.«
Ich besuche Ehsan wenige Tage später zuhause. Er lebt mit einem Freund, der ebenfalls aus dem Iran stammt, in einer WG. »War gar nicht so leicht, die Wohnung zu bekommen«, sagt Ehsan. Die Vermieterin lud die beiden in ihr Büro, nach einem
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