Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit
hattet jede Saison neue Trikots eurer Lieblingsfußballteams, ich habe meine Mutter einmal gefragt, ob ich auch eines bekommen könnte, und sie hat mich gefragt, ob ich wisse, wie viele Mahlzeiten man mit achtzig Mark bezahlen könne.«
Ehsan und ich leben heute wenige Querstraßen voneinander entfernt, besuchen dieselben Lokale, kaufen unsere Klamotten in denselben Geschäften. Aber der Aufwand, den Ehsan betreiben muss, um dieses Leben zu führen, ist viel größer. Ich konnte meine Ausbildung und Praktika in Ruhe absolvieren, meine Eltern unterstützten mich, ich konnte reisen, vieles ausprobieren, scheitern, neu anfangen.
»Heute sind wir vielleicht auf Augenhöhe«, sagt Ehsan, »aber ich bin schon mein ganzes Leben damit beschäftigt, mir einen Lebensstil zu erarbeiten, den eure Familien damals schon hatten. Ich bin damit beschäftigt, deutsch zu sein. Und den Erwartungen meines Vaters gerecht zu werden. Der entscheidende Punkt ist: Ich fühle mich nicht als Deutscher und der einzige Grund, warum ich mich benehme wie ein Deutscher, ist, dass ich mich noch weniger als Iraner fühle. Mein Vater hat immer gesagt: Die Deutschen sind bessere Vorbilder als irgendwelche Propheten.«
Zweimal in der Woche arbeitet Ehsan als Nachtwächter in einem Einkaufszentrum. Er muss jetzt los. Er ist ein Getriebener. Er kann sich keine Pause leisten.
Eine Woche später zitiert auch Julian seinen iranischen Vater. »Als wir eingeschult wurden, sagte er zu mir: Julian, du hast das Pech, so auszusehen wie ich und nicht wie deine Mutter. Du siehst aus wie ein Iraner, nicht wie ein Deutscher. Deswegen musst du immer doppelt so viel leisten wie die Deutschen, damit sie dich akzeptieren.« Julian treffe ich vor dem Hauptgebäude seines Instituts, er macht dort gerade seinen Abschluss, auch etwas mit Wirtschaft und Management, die Details seien egal, es gehe um fette Deals, »eigentlich sammle ich gerade schon Geld für mein Start-up-Unternehmen. Ich werde hochwertigen Schmuck im Internet verkaufen. Du wirst davon hören.« Julian sieht so aus, als könne er sich doppelt so viel leisten wie ich. Vielleicht hat er wirklich doppelt so viel geleistet. Er trägt einen teuren Anzug, in seinen Haaren ist viel Gel. Wenn er lächelt, dann nur kurz, wenn er redet, dann auf den Punkt. Ich frage ihn, ob sein Vater Recht hatte. »Ja«, sagt Julian, »er hatte Recht, wie mit allem. Ich habe es den Deutschen gezeigt und weißt du was: Deswegen habe ich nie Probleme wegen meines Aussehens oder meines Nachnamens bekommen. Aber hören wir auf mit dieser Integrationsscheiße, das interessiert mich nicht!« Julian zählt die Städte auf, in denen er studiert hat: Berlin, Paris, London. Er schwärmt von »Süddeutschland«, weil es da Arbeit gebe und Leute, die arbeiten wollen. »Ich werde viel Geld brauchen für mein Start-up«, sagt Julian, »es soll ein großes Projekt sein.« Heute Abend, sagt er, muss er noch für die mündliche Prüfung lernen, es sollte schon die Bestnote werden, er will sich den Schnitt nicht versauen.
Außerhalb des Klassenzimmers sind Julian und ich uns selten begegnet. »Ich hatte schon früher kaum Zeit«, sagt Julian, »Sportverein, Hausaufgaben, du weißt schon.« Seine Eltern trennten sich, da waren wir in der vierten Klasse. Julian zog zu seinem Vater. »Meine Mutter war in der Erziehung eher lasch, zum Glück bin ich zu ihm gekommen.« Julian sagt, seine iranische Abstammung habe ihm nur ein einziges Mal Probleme gemacht: auf einem Dorffest im Westerwald, wo er mit seiner Mutter deren Familie besuchte. Man beschimpfte ihn als »Mohammed«. »Aber sonst«, sagt Julian, »habe ich keine Angriffsfläche geboten. Überhaupt: Wenn sich Türken oder Araber beschweren, dass sie hier immer als Ausländer wahrgenommen werden, dann kann ich nur sagen: Dann hört auf, den Klischees zu entsprechen. Macht einen Abschluss. Lungert nicht rum. Benehmt euch. Grenzt euch nicht ab. Man muss was tun, dann wird man respektiert. Ganz einfach. Und deswegen bekomme ich auch mein Startkapital zusammen, du wirst davon hören.« Julian sagt auch, es sei kein Zufall, dass er und Ehsan gerade dabei seien, Karriere zu machen. Er trifft Ehsan manchmal in der Mensa. »Iraner sind leistungsorientierte Leute, klare Sache. Frag mal die Türken aus unserer Klasse, deren Eltern haben die nicht auf die Uni gedrängt. Wirst schon sehen.«
Julian hat einen Termin in einem Restaurant. Er will einige Investoren überzeugen. Er muss jetzt los. Er ist ein
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