Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit
Kollege von dir?« Fatihs Eltern wollen nur ihre Ruhe. Eine türkische Ruhe. Ihre Enkelkinder, die Söhne von Fatihs Schwester, sprechen besser Deutsch als sie. Und Fatih sagt: »Wäre ich nicht zufällig in diesen Kindergarten gekommen, der gleich neben unserem Haus lag und in dem fast nur Deutsche waren, wäre ich in der ersten Klasse bestimmt nicht so gut mitgekommen.«
Fatih liebt seine Eltern über alles. Er kann sie verstehen. Warum sollten sie sich für Deutschland interessieren? Deutschland hat sich auch nie für sie interessiert, nur für ihre Arbeitskraft. Das Problem ist nur: Allein in seiner Großfamilie sieht Fatih viele Jungs und Mädchen in seinem Alter, die den Hinterhof, das eine Café, die Wohnung kaum verlassen. »Die schotten sich genauso ab wie die Alten. Aber die Zeiten haben sich geändert. Das geht so nicht mehr. Sie sind keine Gastarbeiter. Sie haben nicht mal Arbeit.« Fatihs Vater hat ihm von früh an von Kemal Atatürk vorgeschwärmt, von den grünen Hängen am Schwarzen Meer, vom türkischen Stolz. Fatih liebte den Strand, wenn sie im Sommer in die Türkei fuhren, aber das Land konnte er nie so lieben, wie sein Vater es liebte. Er kannte es ja gar nicht. »Deutschland konnte ich auch nie lieben, Deutschland existierte bei uns zuhause überhaupt nicht.«
Fatih ist für seine Eltern ein Außenminister. Wenn in Deutschland doch mal etwas sehr Wichtiges passiert, wenn man zum Beispiel keine Gurken mehr essen soll oder die Stadtautobahn gesperrt ist, dann sagt Fatih Bescheid. Die Eltern verstehen nicht viel von seiner Welt. Es sei gut, wenn er Häuser baue, sagt der Vater, die Menschen brauchen Häuser. Vielleicht kann Fatih dem Vater eines Tages das Haus am Schwarzen Meer bauen.
Fatih und ich sind nun schon viele Stunden durch den alten Kiez gelaufen. Wir stehen vor dem Haus, in dem Fatih mit seiner Familie früher schon wohnte. »Das habe ich noch gar nicht erzählt«, sagt Fatih, »ich wohne wieder zuhause.« Nach dem letzten Praktikum in München habe er in Berlin keine bezahlbare Wohnung gefunden. »Ich bin da aber auch stur«, sagt Fatih, »ich will in Kreuzberg bleiben, was anderes kommt nicht in Frage. Es ist so: Ich bin kein Deutscher, ich bin kein Türke, ich bin Kreuzberger. Aber Kreuzberg verändert sich, das ist nicht mehr mein Kreuzberg. Die Jugendlichen verhalten sich nur noch asozial und gleichzeitig wird der Bezirk zu einem Luxuswohngebiet.« Wenn er es bis Ende des Jahres nicht geschafft hat, als Architekt Geld zu verdienen, sagt Fatih, zieht er nach Istanbul. Auch, wenn er da der Deutsche ist. »In der Türkei suchen sie dringend türkischstämmigeAkademiker aus Deutschland. Leute, die Türkisch und Deutsch sprechen, sind da viel wert. Da kann ich wenigstens was aus meiner doppelten Herkunft machen«, sagt Fatih. Es ist schwer, als junger Architekt ins Geschäft zu kommen. Als junger, türkischer Architekt erst recht, sagt Fatih. Er wird sich in der Türkei fremd fühlen. Aber: Hat er sich nicht schon immer fremd gefühlt?
Das Krefelder Institut futureorg hat vor zwei Jahren 250 türkische und türkischstämmige Akademiker befragt, von denen knapp drei Viertel in der Bundesrepublik geboren wurden. 38 Prozent erklärten, sie wollten in die Türkei auswandern. Als Begründung gaben 42 Prozent der Ausreisewilligen an, in Deutschland fehle ihnen das »Heimatgefühl«. Fast vier Fünftel aller Befragten bezweifelten, »dass in Deutschland eine glaubwürdige Integrationspolitik betrieben wird«.
Ich frage Fatih, was die Grundschulzeit für eine Zeit war? »Eine ruhige Zeit«, sagt Fatih, »es fing erst auf dem Gymnasium an, dass ich der Türke war.«
»Die Grundschulzeit war anstrengend«, sagt Ehsan, »ich merkte sofort, dass ich nie so sein werde wie die anderen Kinder.«
»Unsere Grundschule war echt viel zu locker«, sagt Julian, »die haben uns überhaupt nicht gefordert, die haben mich behandelt wie einen dummen Ausländer. Die haben mein Potential nicht erkannt.«
»Ich gehe lieber nach Istanbul als wieder nach München«, sagt Fatih, der Kreuzberger. Die Mutter hat gekocht. Er muss jetzt los. Er ist ein Getriebener. Er würde gerne eine Pause machen.
»Grüß deine Mutter«, sage ich. »Siehst du«, sagt Fatih, »klingt doch viel besser als ›fick deine Mutter‹!«
5.
Sun Express
Als ich Ahmed mit »unterdrückter« Rufnummer anrufe, also anonym, so, dass er nicht weiß, dass ich es schon wieder bin, geht er endlich ran. »Was denn?«, fragt er. Er klingt
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