Die Partie. Thriller (German Edition)
zurückkommt. »Dann sehe ich mal nach, was im Badezimmer ist.«
Er öffnet die Tür und verschwindet aus Kimskis Blickfeld.
»Hier ist auch niemand«, ruft er aus dem Bad. »Gar nichts. Nur ein einsames Buch auf dem Klodeckel.«
Kimski ist bei dem Tisch angekommen. Er sieht auf die Tischplatte. Die Figuren auf dem Schachbrett sind so aufgestellt, als wäre jemand mitten in einem Spiel gewesen und hätte es dann unterbrochen und stehen lassen. Links neben dem Brett liegt ein gelblicher Zettel. Bei näherer Betrachtung kann Kimski darauf einen historischen Plan Mannheims erkennen, mit der zackigen Stadtmauer, so wie er ihn aus dem Geschichtsunterricht in der Grundschule kennt.
Erst jetzt sieht er die tote Krähe hinter dem Tisch. Er beugt sich herunter, nimmt die linke Hand von der Waffe und zieht eine Plastiktüte hervor. Er stülpt die Tüte um, benutzt sie als Handschuh und greift damit den Vogel vorsichtig am Hals.
»Meier, komm mal her.«
»Ich komme gleich. Ich guck noch kurz dieses Buch an, da steckt scheint’s ein Zettel drin.«
Kimski nimmt den Vogel hoch und betrachtet ihn. Dann sieht er zu dem Fenster vor sich. Der Flügelrahmen ragt einige Millimeter über den Rahmen hinaus. Behutsam legt er die Krähe zurück, macht einen Schritt nach vorn und zieht am Fenstergriff. Ohne den Griff nach unten zu drücken, kann er das Fenster öffnen. Es wurde nicht ordnungsgemäß geschlossen. Vielleicht stand es offen und ist irgendwann von selbst zugefallen? Dann könnte der Vogel von selbst hereingeflogen sein – oder ist er die Beute einer Katze, die sich auf den Dachvorsprüngen herumtreibt?
Er dreht sich, um den ganzen Raum zu überblicken. Wo ist die Leiche? Ob sich jemand einen Scherz mit ihnen erlaubt hat? Unwahrscheinlich. Aber was soll das sonst bedeuten? Sie haben einen Anruf von einem Notarzt bekommen, und als sie in die Wohnung kommen, ist niemand da. Dafür eine Tonne Bücher, ein toter Vogel und ein Schachbrett.
Wieder beugt sich Kimski herunter, um die Krähe anzusehen. Er kann keine Verletzungen erkennen. Die leblosen Augen starren ihn an. Er wischt sich die Schweißbäche von der Stirn.
»Meier?«
Was macht er so lange im Bad?
Hinter Kimski knarrt es. Ein stechender Schmerz durchzieht seine rechte Schulter wie ein Blitzschlag. Er dreht sich um und reißt die Pistole mit beiden Händen hoch, doch sein Blick verschwimmt. Die Welt um ihn herum verwandelt sich in peitschende Wellen. Ein Gewitter zieht in seinem Kopf auf, und die dunklen Wolken nehmen die Sicht. Als er mit seinen Knien auf dem Boden aufschlägt, spürt er nichts. Aber da ist doch etwas, irgendwo vor ihm bewegt sich ein schwarzer Riese.
»Kimski? Alles in Ordnung da drüben?«
Eine Stimme in der hintersten Ecke seines Bewusstseins. Irgendeine Kraft zerrt an ihm. Ein lauter Knall zerreißt seine Gehörgänge, und die Welt wird schwarz. Schwarz – alles, was er sehen kann, ist schwarz.
3
Montag, 17.43 Uhr
Er erwacht in einem braunen, fauligen Meer. Der Nebel in seinem Kopf klärt sich, doch der modrige Geruch bleibt. Blitze erhellen das Braun um ihn herum. Lautes Gepolter umgibt ihn und seine Knochen schmerzen. Was ist passiert? Wo ist er?
Kimski hält sich mit der Hand an irgendetwas fest, das er zu greifen bekommt, und zieht seinen Oberkörper mühsam hoch.
»Mensch, Kimski! Sie kommen wieder zu sich!«
Das ist nicht die Stimme eines Engels an der Himmelspforte, so viel steht fest. Er kennt die Person, die gesprochen hat, erkennt sie aber nicht. Eine kalte Hand, die ihn an der Schulter packt und nach oben reißt, hat ihn wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt.
»Was ist hier vorgefallen?«
Jetzt kann er den Sprecher identifizieren. Kriminalrat Pflüger ist nicht besonders groß, meistens aber ziemlich laut. Momentan ist er darüber hinaus auch noch aufgebracht, und er hat angefangen, Kimski zu siezen.
»Was ist passiert?«, fragt Kimski, immer noch irritiert. Er hält sich den Kopf. Er erinnert sich jetzt, wie er sein Bewusstsein verlor.
»Was passiert ist? Das habe ich Sie gerade gefragt!«
In Kimskis Schädel schwirrt es. Er sieht sich verstört um. Um ihn herum wimmelt es von Polizisten. Mehrere Beamte von der Spurensicherung in ihren weißen Ganzkörperanzügen. Einer schießt Fotos. Das waren die Blitze, die er beim Aufwachen gesehen hat. Kimski macht einen Schritt vorwärts. Das Büchermeer droht ihn zu verschlucken, doch er bleibt standhaft. Als er die Durchgangstür zum Badezimmer erreicht, wird seine
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