Die Party Queen von Manhattan - Roman
bei Mr. Mertz, 1991, stimmt’s?«
Er nickte.
»Mein Gott, warum hast du denn bis jetzt nichts davon gesagt?«, fragte ich, fischte eine weitere Zigarette aus der Schachtel und bot ihm auch eine an. Er gab erst mir und dann sich Feuer.
»Ich weiß nicht, hätte ich vielleicht machen sollen. Ich dachte eben, du hättest keinen blassen Schimmer. Irgendwie kam ich mir blöd vor, dass ich nicht gleich was gesagt habe, und dann war es irgendwann zu spät. Aber ich erinnere mich noch, dass du, während die anderen mit Schleifpapier und Meißel zugange waren, dauernd am Schreiben warst. Sah nach Briefen aus, Zeile um Zeile, Blatt um Blatt, und ich habe mich immer gefragt, wie es sein kann, dass jemand so viel mitzuteilen hat. Wer war denn der Glückliche?«
Das mit den Briefen hatte ich schon fast vergessen; den letzten von der Sorte hatte ich vor Jahren geschrieben, als meine Eltern mich noch tagtäglich fragten, was ich heute zum Wohl der Menschheit beigetragen hätte. Das Briefeschreiben lehrten sie mich, kaum dass ich Sätze zu Papier bringen konnte, und ich fand es toll. Ich schrieb an Kongressabgeordnete und Senatoren, an Lobbyisten, Umweltschutzorganisationen und, wenn es sich ergab, auch an den Präsidenten. Jeden Abend kam beim Essen ein neues schreiendes Unrecht auf den Tisch, und tags darauf setzte ich mich hin und beschwerte mich schriftlich bei
irgendwem über die Todesstrafe, die Abholzung der Wälder, unsere Abhängigkeit von ausländischen Öllieferanten, das Verbot von Verhütungsmitteln für Teenager oder die restriktiven Einwanderungsgesetze. Es waren unsägliche Machwerke, die vor Selbstgerechtigkeit nur so strotzten, aber meine Eltern überschütteten mich für jedes einzelne mit Lob, und ich war nicht zu bremsen. Gegen Ende der Highschool ließ mein Eifer etwas nach, aber ganz damit aufgehört habe ich erst, als ein Typ, mit dem ich in meinem ersten Jahr am College rummachte, den neuesten Brief auf meinem Schreibtisch fand und eine Bemerkung fallen ließ von wegen, das fände er ja total süß, wie ich versuchte, die Welt zu retten. Es lag allerdings weniger an seinem Kommentar - die Zeit war einfach reif. Der Lebensstil meiner Eltern hatte für mich damals schon einiges an Reiz verloren, und ich verwandelte mich in rasantem Tempo von der alternativen Friedensbewegten in eine stinknormale Collegegöre. Vielleicht war ich dabei ein bisschen radikal vorgegangen. Irgendwo gab es sicher die berühmte goldene Mitte, aber fünf Jahre bei der Bank und ein aufregendes neues Leben als Partyplanerin erwiesen sich als zunehmend weniger geeignet, mich auf den Pfad der Selbstlosigkeit zurückzuführen.
Als mir auffiel, dass Sammy mich aufmerksam beobachtete, riss ich mich aus meinen Erinnerungen und sagte: »Ach, nein, das waren keine Liebesbriefe oder irgendwas in der Art. Die Jungs standen nicht besonders auf die Dreadlocks-und-Espadrilles-Kombi, in der ich damals rumgelaufen bin. Es waren einfach Briefe an... ach, ich weiß nicht, nichts Spezielles.«
»Also ich fand dich immer ziemlich süß.«
Ich lief auf der Stelle knallrot an.
Keine Ahnung wieso, aber mit dem Satz hatte Sammy mich glücklicher gemacht, als wenn er mir seine unsterbliche Liebe gestanden hätte. Allerdings konnte ich nicht lange darin schwelgen, weil mein Handy blökend den Empfang einer SMS verkündete: Schatzi, wo bist du? Cristal-Nachschub - flott!
Herrgott, da drinnen liefen drei Dutzend männliche Models und Kellner herum, die nur darauf warteten, Philip mit allem zu versorgen, wonach ihm der Sinn stand. Aber offenbar war mein Typ dringend gefragt.
»Hey, ich muss da wieder rein und aufpassen, dass sich alle in Würde und Anstand betrinken, aber was ich noch fragen wollte: Brauchst du morgen vielleicht eine Mitfahrgelegenheit?«
»Morgen? Nach Poughkeepsie? Fährst du denn hin?«
»Ich kann doch unmöglich das alljährliche Erntefest verpassen.«
»Erntefest?« Zwischendurch lüftete er die Samtkordel, diesmal für ein Pärchen, das sich kaum noch auf den Beinen halten konnte und diesen Umstand mit ausgiebigem Begrapschen zu kaschieren versuchte.
»Frag nicht. Das veranstalten meine Eltern jedes Jahr anstelle von Thanksgiving, und dazu muss ich antreten. Mein Onkel drückt sich garantiert wieder - er kommt jedes Mal in letzter Minute mit irgendeiner unaufschiebbaren Verpflichtung an -, aber ich kann seinen Wagen haben. Und würde dich gern mitnehmen, wenn es dir passt«, sagte ich und sandte ein Stoßgebet gen Himmel, dass
Weitere Kostenlose Bücher