Die Patchwork-Luege
die einen Nervenzusammenbruch erleidet, weil sie allein mit zwei Kindern und der ganzen Verantwortung dasteht und ihr neuer Mann, der eine alte Liebe ist, sich nicht entscheiden kann und plötzlich verschwunden ist.
Oder der Vater, der von seiner Frau verlassen wird, weil sie in Schottland endlich die Liebe gefunden hat und in Zukunft weder etwas von ihm noch von den drei kleinen Kindern wissen möchte. Sie gründet eine neue Familie, als hätte es die alte nie gegeben.
Oder das Mädchen, das seinen Vater und dessen Frau besucht und im Wohnzimmerregal ein gerahmtes Foto sieht. Das Foto zeigt ihren Vater mit der neuen Frau, es ist ein Hochzeitsfoto. Vielleicht ein Irrtum?, denkt das Mädchen.Es wusste nichts von einer Hochzeit. Aber es war kein Irrtum, es war das neue Leben des Vaters. Ein Jahr später fährt das Mädchen mit dem Vater und seiner Ehefrau in den Urlaub, ans Meer, nach Jugoslawien. Man trifft sich auf dem Bahnsteig. Die Frau des Vaters hat einen sehr dicken Bauch.
Jede Scheidungsgeschichte ist traurig, jede erzählt sich anders, und doch sind alle irgendwie gleich. Was bedeuten sie wirklich? Sie bedeuten nichts und alles.
Ein paar Tatsachen: Scheidungskinder werden später beinahe doppelt so häufig geschieden wie Nichtscheidungskinder. Sie neigen stärker zu Depressionen und Jugendkriminalität, die Missbrauchsgefahr von Nikotin, Alkohol und Drogen ist größer. Die Psychologin Judith S. Wallerstein präsentiert eine aufschlussreiche Statistik, der zufolge 25 Prozent der unter Vierzehnjährigen aus Scheidungsfamilien regelmäßig trinken oder Drogen konsumieren. Bei Kindern aus intakten Familien sind es lediglich 9 Prozent. Im Erwachsenenalter ist die Differenz noch eklatanter: 85 Prozent stehen hier 24 Prozent gegenüber.
Auch die Suizidalität ist bei Scheidungskindern erhöht. Eine kanadische Studie aus dem Jahr 2010, an der mehr als 6000 Probanden teilnahmen, ergab, dass Söhne geschiedener Eltern ein dreimal so hohes Selbstmordrisiko haben wie Söhne verheirateter Eltern. Bei den Töchtern lag die Rate doppelt so hoch. Esme Fuller-Thomson von der Universität Toronto, die in der Zeitschrift Psychiatry Research die Ergebnissee der Studie darlegte, glaubt, dass einer derGründe, weshalb Söhne offensichtlich stärker unter einer Scheidung leiden als Töchter, ihre emotionale Zurückhaltung ist. »Männer reden grundsätzlich weniger mit Freunden oder Verwandten über ihre Empfindungen und Enttäuschungen.« Dieses Internalisieren, das Nichtverarbeiten negativer Gedanken, mache sie auf lange Sicht anfälliger für tiefe Traurigkeit und Depressionen. Ein zweiter Grund sei der abwesende Vater. Kinder geschiedener Eltern werden meistens von ihren Müttern großgezogen. Es fehlt die Vaterfigur als Rollenvorbild und Identifikationsmuster, weshalb Söhne gewissermaßen orientierungslos in ihre Geschlechterrolle hineinwachsen. Die Leerstelle, die ein Vater hinterlässt, kann kein Stiefvater füllen.
Später, in der Schule, haben Scheidungskinder häufiger Schwierigkeiten mit dem Unterrichtsstoff, mit der Aufmerksamkeit, mit Mitschülern oder Lehrern. Sie sind stressempfindlicher, manchmal hyperaktiv oder verschlossen, ihr Immunsystem ist eher schwach. Eine Lehrerin erzählt, dass im Augenblick der elterlichen Trennung oder Scheidung die Leistungen der betroffenen Kinder mit hundertprozentiger Sicherheit schlechter werden, nicht ein einziges Mal ließ die familiäre Situation die Leistungsfähigkeit unberührt.
Jungs, auch das belegen Studien, verhalten sich oft aggressiv, Mädchen aus Scheidungsfamilien werden als Teenager häufiger schwanger als Mädchen aus intakten Familien. Viele Scheidungskinder haben Mühe, ein stabiles Selbstbewusstsein zu entwickeln, sie sind misstrauischund fürchten Liebesbeziehungen, weil sie schnell das Gefühl überkommt, sich einem Fremden auszuliefern, der den Schutzwall, den sie mühevoll errichtet haben, beschädigen könnte. Die Familie ist der größte Schutzfaktor für die seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Ist sie intakt, verringert sich laut der Bella-Studie des Robert Koch-Instituts Berlin »die Wahrscheinlichkeit für psychische Auffälligkeit stark«.
20 Prozent aller Deutschen erkranken im Laufe ihres Lebens an einer Depression. Scheidungskinder trifft es mehr als doppelt so oft.
Die Behauptung, es gebe auch gute Scheidungen, ist absurd. Die Sozialforscherin Elizabeth Marquardt schreibt: »Alle Schönrederei von Scheidung ist nur dazu da,
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