Die Patin
einigen Beobachtern schon klar geworden.
Richard von Weizsäcker, Altbundespräsident, war es an jenem übermütig gefeierten Wahlvorabend, der ziemlich überraschend das Podium ansteuerte. Natürlich waren ihm wie jedem Parteimitglied die ‹Zählappelle› und die Drohkulissen bekannt geworden, die von den Vasallen der Vorsitzenden seiner Partei seit Wochen Bedrohungsgefühle bei den freien Geistern und Jagdfieber gegen kritische Köpfe bei den andern weckten. Von Weizsäcker bestieg das Podium und begann: «Erlauben Sie mir, eine Bitte zu äußern.» Sein Vorgänger Gustav Heinemann, 1969 zum Bundespräsidenten gewählt, habe nach seiner Wahl durch SPD und FDP von «einem Signal zum Machtwechsel» gesprochen. Die Union habe ihn dafür heftig kritisiert. Wenige Monate nach dieser Präsidentenwahl zerbrach die Große Koalition unter Kiesinger, «und die sozialliberale Regierung unter Willy Brandt übernahm in Bonn das Ruder».
Mit dieser kleinen Geschichte leitete von Weizsäcker sein Fazit ein, das die anwesenden Präsidentenmacher aus Union und FDP betraf. Es sei sicher legitim, so der Altbundespräsident, von politischen Fragen zu sprechen; ebenso wichtig sei es aber, «zum Ausdruck zu bringen, welchen Respekt man vor dem Kandidaten und vor dem Amt hat». Die Position des Bundespräsidenten sei «ein Amt der absoluten Überparteilichkeit». Je mehr das zum Ausdruck gebracht werde – und nun wandte sich von Weizsäcker unmittelbar an die CDU-Chefin, «umso mehr werden diejenigen die Auszeichnung verdienen, die ihn nominiert haben, Frau Merkel.» 172
Schon hier taucht der Rücktrittsgrund von Horst Köhler auf: der «Respekt vor dem Amt». Verbunden mit dem unverhüllten Tadel für die Chefmaschinistin im Maschinenraum der ‹Gestaltungsmehrheit› spricht von Weizsäcker damit dem Führungspersonal der operativen Politik eine Mitwirkung beim Respektverlust vor Amt und Person des Präsidenten zu.
Siegesgewiss erklimmt Merkel nach diesem entlarvenden Votum das Podium für eine Replik: «Es bleibt uns unbenommen – nicht Herrn Köhler, aber uns –, dass wir weiter sagen dürfen, wie wir das alles verstehen.» 173
Köhler darf das nicht, sagt sie. Der ist ja nach dem Plan ab morgen mattgesetzt, ein Regierungsknecht. ‹Wie› sie aber ‹was alles› versteht, erfahren wir nicht. Sie bleibt in Deckung, Tarnkappenkanzlerin.
Nicht nur Richard von Weizsäcker hat schon vor Köhlers Wahl ins Präsidentenamt den Eindruck, eine Mahnung an die eigene Partei sei dringend. Weizsäcker will der Instrumentalisierung von Amt und Person nicht tatenlos zusehen. Er ist nicht der einzige, der diesen Missbrauch sieht. Im Jahr 2006, nachdem Merkel Kanzlerin geworden ist und ihren Machtzuwachs immer unbefangener nutzt, sagt ein Politiker aus ihrer nächsten Umgebung: «Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan. So richtig ernst nimmt den keiner mehr.» Sein Satz war das Fazit aus einer scheinbar harmlosen Bemerkung der Kanzlerin, mit der sie eine Mahnung des Präsidenten wegwischte: Er habe das bestimmt nicht so gemeint. Köhler hatte die Familienpolitik der Regierung kritisch bewertet und Merkels ‹Politik der kleinen Schritte› zur Debatte stellen wollen.
Kein Bundespräsident, so der Porträtist Jan Heidtmann 2006 im Magazin der Süddeutschen Zeitung , sei «bislang so instrumentalisiert worden wie Horst Köhler». Dieses Urteil wiegt umso schwerer, als es lange vor der öffentlichen Sensibilisierung für die Schleifspuren am Präsidentenamt durch berechnende Kandidatenauswahl gefällt wurde. 174
Neben diesen Beobachtungen wirkt die Story, die der FDP-Vorsitzende Westerwelle der politischen Öffentlichkeit zur höheren Vernunftder Kandidatenauswahl anbietet, wie ein Ammenmärchen: «Ich denke an die Nacht, als Angela Merkel und ich über unseren Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten entschieden haben. Sie war sehr einsam in ihrem Gremium, und so leicht hatte ich es in meiner Partei zum damaligen Zeitpunkt auch nicht. Hätten wir in der Bundesversammlung Professor Horst Köhler nicht durchgesetzt oder vielleicht erst im dritten Wahlgang, wäre Frau Merkel nicht Kanzlerkandidatin geworden und ich wäre nicht Parteivorsitzender der FDP geblieben.» 175
Dass beide Behauptungen reine Fiktion für die Rechtfertigung der Okkupation des Präsidentenamtes durch politische Taktik sind, ist seit Christian Wulffs drei Wahlgängen bewiesen.
Schwerer aber wiegt, dass Westerwelle hier selbst den Beweis liefert, dass das
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