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Die Patin

Die Patin

Titel: Die Patin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gertrud Höhler
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der Fremde kommt: den harmlosen Christian Wulff dorthin zu verschieben hieß nicht mehr, als ihn von der Bühne der Handelnden auf das Podest der Wirkungslosigkeit zu transferieren. Von der ‹Macht des Wortes›, die diesem erhöhten Feldherrnhügel nachgesagt wurde, hielt die Herrin vieler Schlachten von Anfang an nichts – weil sie nicht an die Macht des Wortes glaubt. Taten ohne Worte sind ihre Waffe.
    Die Aura des Amtes findet bei Angela Merkel also nicht statt. Christian Wulff, der Charme statt Charisma mitbrachte, war deshalb genau der Richtige. Horst Köhler war kaum mehr als eine symbolische Besetzung: Der Ökonom, der Banker sollte für wachstumsfreundliche Politik stehen und den Mittelstand in der Nähe der CDU halten, jene Unternehmer, die bereits anfingen, Frau Merkel nicht mehr zu verstehen.
    Nun aber trat im zweiten Akt des dreiteiligen Dramas von der ‹Präsidentendämmerung› eine unwillkommene Störung ein: Ein Kandidat mit Charisma, ein Freiheitskämpfer mit dem schärfsten Schwert, dem blanken Wort, wurde von der Opposition ins Spiel gebracht und fand im Lande, das die Politiker gern mit dem Zusatz ‹draußen› verfremden, eine starke Lobby. Auch eine Anzahl FDP-Abgeordnete kündigte an, ihn wählen zu wollen.
    Was mit Joachim Gauck drohte, war die Wiedererweckung des Präsidentenamtes zu altem Glanz – und schlimmer: der Machtzuwachs des Amtes im virtuellen Raum, dort, wo die Werte wohnen, an deren Verblassen die Kanzlerin seit einem Jahrzehnt arbeitete. Die Planwirtschaft der Werte würde unter einem Präsidenten Gauck einen schweren Rückschlag erleiden. Mit seiner Benennung hatten SPD und Grüne obendrein erstmals einen veritablen Einbruch in das Revier der CDU/CSU riskiert, ein Coup, wie er bisher Privileg der Regierungschefin gewesen war: Merkels Spezialität, die Enteignung von Kernbotschaften oppositioneller Parteien, hatte bisher noch keine Opposition nachgeahmt. Jetzt plötzlich kamen sie mit Gauck, die Grünen, die Sozialdemokraten. Für Merkel ein Augenblick höchster Gefahr.
    Wilderer unterwegs, hieß die Parole. Obendrein mit einem Kandidaten, der von allen außer Merkel dem Revier der CDU zugerechnet wurde. Die Opposition landete also einen Volltreffer, der entlarvend wirkte. Der Kandidat war und ist bis heute parteilos; er entspricht damit aufs Schönste der Forderung Richard von Weizsäckers, der Präsident solle über allen Parteien stehen. Genau daran hatte die Chefin aber gar kein Interesse. Im Gegenteil: Der Merkelsche Entwurf war einer, der schon Horst Köhler an beherzten Bekenntnissen gehindert hatte. Der Kandidat sollte in ihrer, Merkels Schuld sein, wenn er im höchsten Staatsamt wirken durfte.
    Als Bundespräsident Christian Wulff zwanzig Monate später in Bedrängnis geriet, erkannte man schnell, dass Merkel sich als seine Chefin verstand: Sie flutete den Präsidenten mit Vertrauenserklärungen, und selbst die wachsamsten Journalisten wagten nicht zu schreiben oder zu sagen, dass der Präsident nicht ein Minister ist, den die Kanzlerin steuert, sondern Inhaber des Amtes, das über dem der Kanzlerin steht. Wulffs Lage ließ es offenbar nicht zu, dass er auf der Rangordnung bestanden hätte.
    Nach dem Rücktritt Köhlers kündigte die Kanzlerin ohne Zeitverzug an, dass die Regierung mit ihrer deutlichen Mehrheit einen «guten Vorschlag» für die Besetzung des Amtes machen werde. Es sei «völlig offen», wer Kandidat der Koalition werde. Auch ein Seiteneinsteiger, immerhin eine Reminiszenz an den eben gescheiterten Kandidaten, könne es wieder sein.
    Dass weder die Kanzlerin noch der Außenminister Guido Westerwelle dem Präsidenten im Konflikt mit der Presse Rückendeckung gegeben hatte, schien niemanden zu verwundern. Es passte aber schlecht zu Merkels «allerhärtestem Bedauern» und der noch dramatischeren Mitteilung aus Westerwelles Umgebung: Der Außenminister sei «vom Donner gerührt» gewesen. Wer solche Formeln wählt, hat etwas zu verbergen.
    Köhler war schon am Start, damals vor fast sechs Jahren, eine taktische Besetzung. Mit soliderer Mehrheit, so erkannte die Kanzlerin schnell, könnte man nun schon vier Jahre früher ein weiteres taktisches Manöver auf Kosten des moribunden Amtes durchziehen: die Entmachtung des letzten verbliebenen Rivalen Christian Wulff. So war der Unglücksfall im Handumdrehen zu einem Glücksfall zu machen – ein Erfolgsgesetz der Mächtigen, das Merkel virtuos anwendet.
    Das boulevardeske Drama vor dem Rücktritt auch

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