Die Patin
Präsidentenamt von der operativen politischen Führung als ein Beutestück behandelt wird, aus dem man möglichst viel Profit schlägt.
Richard von Weizsäcker hatte aus dieser Versuchung seiner Kollegen zum Missbrauch des höchsten Amtes für seine eigene Präsidentenzeit einen konsequenten Schluss gezogen: Für die Amtsdauer seiner Präsidentschaft, so teilte er damals mit, lasse er seine Parteizugehörigkeit ruhen. Mehr als ein Appell an die operative Politik konnte das nicht sein. Das Amt, so wiederholte er am Vorabend der Wahl Köhlers, verlange «absolute Überparteilichkeit».
Für Angela Merkel sind das Texte in einer Sprache, die sie nicht versteht. Ihre Geringschätzung des höchsten Staatsamtes besiegelt sie unmittelbar nach der Neuwahl-Forderung durch den SPD-Chef Müntefering, die der verlorenen Wahl in Nordrhein-Westfalen 2005 folgte. Ohne das Votum des Bundespräsidenten abzuwarten, der das Verlangen nach Neuwahlen im Lichte der Verfassung zu prüfen hatte, ließ Angela Merkel sich zur Kanzlerkandidatin ihrer Partei ausrufen.
Ein halbes Jahr später ernannte Horst Köhler sie zur Bundeskanzlerin. 176 Von da an schwand sein Einfluss dahin.
Dass sie es an «Respekt vor dem Amt» fehlen ließen, hätte ein mutiger Präsident schon in seiner ersten Amtszeit eher seinen politischen Förderern als den Journalisten vorwerfen können, die er bei seinem Rücktritt beschuldigte. Genau genommen führte der Journalismus aber den Ansehensverlust nur weiter, den zuallererst die Politik verursacht hatte. Das taktische Kalkül bei der Auswahl des Kandidaten, der ein Instrument der operativen Politik werden sollte, wurde zunächst von den Medien kommentiert, dann aber Schritt für Schritt als eine generell gelockerte Verpflichtung zur Hochschätzung des Amtes verstanden. Was am Ende der Ära Köhler stand, war eine Schadensbilanz, die er selbst nicht bei den Verursachern beginnen ließ, sondern denen vorlegte, die das politische Klima der Vernachlässigung von Respekt nur nachvollzogen hatten.
Ein unbefangener Beobachter, der niemandem gefallen musste, der Theatermann Klaus Peymann, ein wahrhaft ‹Unbequemer›, kam vielleicht der Wahrheit näher als alle Politiker in diesem allzu absichtsvollen Spiel mit Person und Amt. Einen «anregenden, intelligenten Amateur» nannte Peymann den Präsidenten Köhler nach dessen Rede zum Schiller-Jahr 2005. 177
Genau das hatten sich die machthungrigen Oppositionspolitiker vorgestellt, die das Experiment ‹Sparkassendirektor nach Berlin› gerade wegen der Dilettantenzüge des Kandidaten, der keinerlei Seilschaft in der Hauptstadt hatte, als Erfolgsmodell sahen.
Der Kandidat spielte eine Weile gutwillig mit – mit dem Ethos des Amateurs sah er über die Schläue seiner Promotoren hinweg.
Der Respekt des Neuberufenen vor dem Amt schützte auch die respektlosen Gönner, bis die Augenblicke der Wahrheit häufiger wurden. Der Präsident muss sein Dilemma bald nach Merkels gesetzwidriger Initiative zur Kanzlerkandidatur erkannt haben. Sein Schweigen hatte die Kanzlerin im Plan. Der Außenseiter-Präsident war als Beschleuniger dieser Machtübernahme ins Amt geschoben worden.
Seine Toleranz in diesem wichtigen Moment beschleunigte dann auch die Präsidentendämmerung.
Zweiter Akt: Nicht nur die Kandidaten, auch das Amt entmachten
Präsidentendämmerung, die Zweite: Nur die Opposition sieht im Jahr 2010, nach Köhlers Rücktritt, eine Kanzlerdämmerung heraufziehen. Angela Merkel selbst hat ihr ‹allerhärtestes Bedauern› über Horst Köhlers abrupten Abgang schnell gegen Siegesgewissheit eingetauscht. Seit einigen Monaten regiert sie mit der kleinen liberalen Partei. Die Mehrheiten, so ihre Botschaft, seien jetzt noch sicherer als damals, bei Köhlers erster Wahl. Man sei völlig offen, der Kandidat könne von außen kommen oder aus der Politik, nichts sei unmöglich, und natürlich könne es auch eine Präsidentin geben.
Die von der unerwarteten Chance überraschten Kandidaten der früheren Wahlen machen sich bereit zum nächsten Wettstreit um das hohe Amt. Eine öffentliche oder gar offene Bilanz der politischen Führung aus dem Scheitern eines eben wiedergewählten Präsidenten unterbleibt.
Schnell werden die gewohnten Kampfkostüme wieder angelegt, als sei nichts geschehen außer einer schnellen Gelegenheit, Siege und Niederlagen zu prophezeien, je nachdem wo die eigene Partei steht.
Klartext zu diesem More of the same dem ‹Weiter so› von Leuten, die aus ihren
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