Die Patin
Niederlagen nicht lernen können, weil ihre neue Idee für die verfassungswidrige Nutzung des Präsidentenamtes einfach genau dieselbe wie die alte ist. Klartext redet auch der Journalismus erst, nachdem das Kind tief im Brunnen ertrunken ist.
Das klingt dann so – aber leider fast zwei Jahre zu spät: «Die dümmste politische Idee der vergangenen Jahre war es, Christian Wulff zum Bundespräsidenten zu machen. Union, FDP und Kanzlerin Angela Merkel haben diesen Kandidaten ausgesucht – sie sind nun für sein Scheitern mitverantwortlich. Es hätte bessere Kandidaten gegeben, alle wussten es. Aber Merkel, Guido Westerwelle und ihre Parteitaktiker hatten bei ihrer Personalauswahl alles Mögliche im Sinn, nur nicht das Wohl des Landes.» 178
«Christian Wulff war Angela Merkels Präsident, so wie es Horst Köhler war. Wulff konnte sie noch gegen den Willen vieler im Land mit ihrer Mehrheit durchdrücken, diese politische Kraft fehlt ihr nun», fährt der Spiegel -Autor fort. Sie hat in Sachen Bundespräsident so offenkundig versagt, dass jeder Alleingang wie eine Anmaßung erscheinen müsste.» 179 Wo waren diese Erkenntnisse 2010 zu lesen? Warum zögert auch der Journalismus mit Kritik am Machtmissbrauch der Top-Ebene in der Politik?
Die schmeichelhafte Vermutung aber, die Kanzlerin werde sich im Kapitel drei der Präsidentendämmerung der Opposition fügen, um ‹Anmaßung› zu vermeiden, unterschätzt die Machtpolitikerin Merkel. Allein der Schritt ihres Koalitionspartners FDP ins andere Lager, also ein Akt der oppositionellen Auflehnung des gedemüdigten Partners, der endlich Rache braucht, lässt ihr keine Wahl. Mit ihrem Schwenk in Richtung Mehrheit ist keinerlei Überzeugung verbunden; sie hatte noch Stunden vor dem Seitenwechsel ihres Koalitionspartners im Kreise der CDU-Mandatsträger die Losung ausgegeben, für die CDU sei Joachim Gauck nicht wählbar.
Vom Ende her, das sollte als Vorspiel zum dritten Akt des Dramas ‹Präsidentendämmerung› gezeigt werden, haben immer alle alles gewusst. Aber die meisten haben geschwiegen, solange die Mächtigen die Macht hatten. Schwindet sie, melden sich die Ersten, die alles vorher wussten. Aber nur in sicherer Entfernung zur Mächtigsten, die auch eine Rächerin ist. Bei ihren Getreuen bleiben die Fäuste in den Taschen.
Es dauert gar nicht lange, bis Angela Merkel entdeckt hat, dass die Abkürzung der zweiten Amtszeit des Präsidenten Köhler durch den Präsidenten selbst ihr eine unverhoffte Chance eröffnet, da sie ohne das ‹moralische Handicap› unterwegs ist, das ihre Parteikollegen immer noch zu Objekten strenger Überwachung durch die Chefin macht: Respekt vor dem Amt und die Hemmung, einen Bewerber in das höchste Staatsamt zu ‹entsorgen›, weil er als Rivale im operativen Geschäft beseitigt werden soll.
Die Kanzlerin sieht überhaupt keinen Anlass, ihr Scheitern mit dem ‹Experiment› Köhler als eine Warnung zu verstehen, beim nächsten Fall der Versuchung zu widerstehen, das Wohl des Landes dem Ausbau ihrer Macht unterzuordnen.
Wer diese Alternative formuliert, hat das System M immer noch nicht verstanden. Das Wohl des Landes, so würde die Chefin sagen, wenn sie nicht eine Schweigerin wäre, ist deckungsgleich mit dem Ausbau meiner Macht. Wer Macht über alles stellt, muss so denken, um mächtig zu bleiben.
Wer so viel vom Merkelschen Universum verstanden hat, dem wird der Geltungsabbau des höchsten Staatsamtes als ein mitlaufendes Machtziel plötzlich klar. Das Präsidentenamt ist eine Botschaft aus Zeiten, als die Hoheit des Staates als ein werthaltiges Gut über dem Ringen der Wettkämpfer um politische Handlungsmacht stand. Im Sinne unserer Verfassung sollte das Präsidentenamt die nie handelbare Würde der Bürger hüten und verteidigen.
Ein solches Amt, das auch die Herrschenden überwacht und ihren Machthunger zügelt, braucht die Kanzlerin Merkel nicht. Sie strebt ja eine eigene Verfügungsmacht über die Parteien an und will die Macht zentralistisch bündeln – nicht bei einem Präsidenten, sondern in ihren eigenen Händen. Weil das so ist, verfügt sie über das Präsidentenamt wie über andere Ressourcen. Auch das Präsidentenamt ist Manövriermasse, wie das dahinterstehende Ethos. Also gibt es keinen Anlass, in der Neuauflage einer nur bedingt demokratischen Wahl in das sterbende Amt eine Aufforderung zu überholten Wertehaltungen zu sehen.
Merkel betrachtet das Präsidentenamt mit der Unbefangenheit der Täterin, die aus
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