Die Patin
Präsidentendämmerung schritt schneller fort.
Horst Köhlers missverstandener Interview-Satz war von Journalisten natürlich bereitwillig in ein Missverständnis verwandelt worden, weil endlich mal wieder eine Meldung herauskam, die das Einerlei der präsidialen Machtlosigkeit aufzulockern versprach. Am Rande eines Truppenbesuchs in Afghanistan sagte der Bundespräsident arglos, die Gesellschaft verstehe allmählich, dass ein Land wie Deutschland «mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren». Es gelte, «ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen, negativ bei uns, durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern». 167
«Es klang, als rechtfertige Köhler Wirtschaftskriege», 168 kommentiert Spiegel Online .
Wenige Tage später, im anschwellenden Presse-Echo, lässt Köhler seinen Sprecher erklären, er sei missverstanden worden. Er habe sich nicht auf den umstrittenen Afghanistan-Einsatz bezogen, sondern auf den Einsatz gegen Piraten …
Merkels Reaktion auf den Rücktritt, der sich nicht elegant ins Euro-Rettungsimage der Regentin einfügt, ist von Ärger geprägt: Ihre Wortwahl verrät sie, die sonst so souverän im Sprachversteck hockt; 169 die Überraschung war zu groß, die Selbstdisziplin wird vom Ärger überrundet. Sie bedaure diesen Rücktritt «auf das Allerhärteste», teilt sie den Medien mit.
Köhlers Erwartung, dass das höchste Staatsamt seinen Inhaber schützen müsse, klingt in seiner Rücktrittsbegründung durch. Wenn dieser Schutzwall breche, so meint der Präsident offenkundig, dann nur durch Einwirkung von außen. Der «Respekt vor dem Amt», den er den andern abverlangt, müsse ihn, den Amtsinhaber, auch vor Missverständnissenschützen. Auf den ersten Blick wirkt diese Amtsauffassung naiv; auf den zweiten kann man einen subtilen Hochmut beobachten – jene Prise Anspruchsdenken, das schon in der Antrittsbemerkung steckte, er wolle ein «unbequemer» Präsident sein.
War schon 2004 zuviel Kalkül der Politiker im Spiel, das die Eignungsfrage zurückdrängte? Heute würde man sie wahrscheinlich eine ‹Troika› nennen, die Oppositionspolitiker Merkel, Stoiber und Westerwelle, die Köhler zur Symbolfigur ihres strategischen Höhenflugs von Rot-Grün zu Schwarz-Gelb proklamierten.
Angela Merkel kannte Horst Köhler seit den neunziger Jahren: Sie war Frauenministerin, er Staatssekretär im Finanzministerium. «Wenn sie ‹Kohls Mädchen› war, dann war Horst Köhler sein ‹Junge›», schreibt Jan Heidtmann 2006 in einem Köhler-Porträt. 170 „Er ist ein Schatz“, sagte Helmut Kohl gelegentlich über ihn. Merkel mochte Köhler, weil er sie ernstnahm. 2006 ist sie bereits Bundeskanzlerin, Köhler aber immer noch der ‹Junge», meint Heidtmann; «nur jetzt eben Merkels ‹Junge›.» Er war einige Jahre im Ausland gewesen, beim Internationalen Währungsfonds, er kam als politikferner Fremdling ohne politisches Netzwerk; in Angela Merkels Machtkonzept beste Voraussetzungen für eine steuerbare Präsidentschaft. Mit der Kanzlerschaft von Angela Merkel in der Großen Koalition verbleicht der frische Glanz des neuen Präsidenten fast über Nacht. «Seitdem hat sie Horst Köhler als beliebtesten Politiker abgelöst, der Bundespräsident spielt in Berlin ungefähr die Rolle, die Merkel schon Helmut Kohl, Friedrich Merz und Edmund Stoiber zugedacht hatte: keine.» 171
Die Politikferne, weniger romantisch zu beschreiben als Unerfahrenheit in der Schlangengrube der operativen Führung, würde von den drei ‹Erfindern› seiner Kandidatur sicherlich unterschiedlich bewertet. Guido Westerwelle erhoffte sich wirtschaftsliberale Akzente, Edmund Stoiber ein CSU-verträgliches Klima der ökonomischen Vernunft, und die Kanzlerin Geschmeidigkeit wegen Erfahrungsmangel.
Nach der Wahl Horst Köhlers schwand auch öffentlich jede Zurückhaltung des siegesgewissen Lagers aus CDU/CSU und FDP: die «Gestaltungsmehrheit» sei Rot-Grün nun bereits entrissen. Wie bald die nächste Wahl ins Haus stand – nach Schröders Vertrauensfrage 2005 – und dass sie nicht den beschworenen Triumph brachte, sondern eine Große Koalition, wusste am festlichen Vorabend der Präsidentenwahl noch niemand. Aber die dreiste Funktionalisierung dieses Präsidenten in spe durch die Merkel-Truppe war
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