Die Patin
dabei, weil bei jeder Partei regierungsamtliche Enteignung stattfand.
Wer so regiert, schleift Gegnerschaft und Wettbewerb. Und aus dem großen Themenmix erwachen wir eines Tages arm an Freiheit, in einer zentralistischen Planwirtschaft neuer Ordnung.
Der Allparteien-Zentralismus führt in eine Republik ohne Opposition. Die Probeläufe bei den Themen Euro und Energie versprechen eine arglose Zustimmungsbereitschaft bei fast allen Parteien – bis auf jene, die sich nicht für eine Koalition mit dem Merkel-Block zu präparieren braucht, die Linke. Alle andern laufen schon heute an der kurzen Leine gedachter Koalitionsverträge von morgen. Konfliktmüdigkeit aus derFinanzkrise erzeugt Willfährigkeit in der Staatsschuldenkrise Europas, die poetisch ‹Euro-Krise› heißt. Wenn es schon zur Regel wird, im Parlament über nie gesehene ökonomische Dimensionen abzustimmen, dann lieber in möglichst großer Gesellschaft; das sieht die Kanzlerin genauso. Lähmender Friede ist ihr lieber als demokratische Streitkultur.
Der eigentliche Souverän bleibt Zuschauer. Im Parlament etabliert sich eine neue Hypermoral: Dagegensein ist unanständig. So schreitet nach der Fügsamkeit im Handeln auch die neue Stromlinie im Denken fort. Immer weniger kritische Köpfe im Parlament können sich an ihre begründeten Einwände gegen den Rettungsrausch erinnern; bei immer mehr Parlamentariern geht der Sachverstand auf Tauchstation.
«Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer», meinte der Maler und Radierer Francisco de Goya. Das Narrenschiff des Sebastian Brant fällt manchen Gebildeten unter den Verächtern des Systems M ein.
Mehr als zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung erleben wir eine Einheitsfront in der deutschen Politik unter Führung einer Kanzlerin mit Erfahrungsvorsprung im Gleichschaltungsregime.
Zwei Varianten von Enteignungen gehen der Gleichschaltung voraus: Die Botschaften der Parteien werden okkupiert für einen zentralen Themenpool, und die Wertebasis der Demokratie geht Pfeiler für Pfeiler in einen lautlosen Prozess virtueller Sprengungen. Nur wer hinschaut, sieht die Leere wachsen. Wer nur lauscht, hört nichts.
Das System M profitiert von Angela Merkels Erfahrung, dass man niemandem trauen kann. Folglich entwaffnet sie Freund und Feind; man kann nie wissen, ob sie nicht morgen die Plätze wechseln.
«Die zentrale Rolle des Parlaments in der Politik», schreibt Bernd Ziesemer im Handelsblatt im Sommer 2011, «die unser Grundgesetz postuliert, kommt von ganz unterschiedlichen Seiten unter Druck: durch die fortlaufende Übertragung von Kompetenzen an die EU und an supranationale Institutionen wie den IWF; durch die immer größere Rolle der Rechtsprechung durch internationale Gerichte und den EuGH; durch ein skrupelloses Handeln der Bundesregierung, das auf Parlamentsrechte immer weniger Rücksicht nimmt; durch die Verlagerung wichtiger Diskussionen und Entscheidungen in außerparlamentarische Gremien wieetwa den Ethikrat. (…) Eigentlich sollte man von der Opposition erwarten, dass sie sich der Entmachtung des Parlaments am stärksten widersetzt. Das ist heute jedoch keineswegs immer der Fall.» 193
Das krypto-autoritäre System M verdankt seinen Erfolg auch der überdurchschnittlichen Bereitschaft von Bürgern und Abgeordneten, autoritäres Führungsverhalten zu tolerieren. Wenn die Kanzlerin den Willkürakt einer kompletten Übernahme der Energiewirtschaft durch den Staat mit der Programmvokabel ‹Wende› belegt, dann reicht das für die meisten Deutschen aus, um eine höhere Macht am Werk zu sehen, nicht aber ein taktisches Manöver der politischen Führung mit multifunktionaler Zielrichtung. 194 Ob der zitierte Anlass für den Zugriff auf Eigentumsrechte, auf das Aktienrecht, das Schreddern von Gesetzen und den Rückfall in überwundene Emissionsschleudern ausreicht, fragte niemand hörbar. OB das Risiko für die Energieversorgung vertretbar sei, sollten Ethik-Experten kanzleramtskonform entscheiden; sie gehorchten. Lügen sind in solchen selbstinszenierten ‹Notlagen› unvermeidlich: Man werde keinen Atomstrom von Nachbarn kaufen, rief die Kanzlerin ungefragt in den Medienpool. Nach wenigen Wochen floss der Atomstrom der Franzosen und der Österreicher nach Deutschland. Man werde Klimaprimus bleiben – und mindestens sieben neue Kohlekraftwerke bauen – nicht auf deutschem Boden, nein, im aufstiegshungrigen Osteuropa. 2012 mehren sich die Folgeschäden des tollkühnen Energie-GAUs; aber die
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