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Die Patin

Titel: Die Patin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Julius' Sammlung fehlte. Ich hatte nicht das Gefühl, dass Paris' Freundlichkeit gespielt war. Aus reiner Berechnung hätte sie auch gar nicht so nett sein müssen: Der Weg zu Lorenz' Herzenführte ganz sicher nicht über seine Kinder. Eher über seinen Magen. Oder über einen anderen Körperteil. Warum nur war Anton nicht genauso simpel gestrickt? Ich müsste ihm einfach nur etwas Gutes kochen. Ohne Unterwäsche. Oder nur in Unterwäsche.
    Aber nein, bei mir musste das Leben ja immer kompliziert sein. Mir hatte diese rätselhafte höhere Ordnung eine Hürde namens Emily in den Weg gestellt, und ich hatte keine Ahnung, wie ich diese Hürde überwinden konnte.
    Ich hatte die vage Hoffnung gehegt, dass Anton und ich an meinem kinderfreien Abend etwas miteinander unternehmen würden. Etwas, bei dem wir allein waren und von mir aus auch gerne ohne Unterwäsche. Aber Samstagabend fand bereits eine Aufführung in Emilys Ballettschule statt.
    »Emily wird eine Erdbeere sein«, hatte Anton voller Vaterstolz gesagt. »Es wäre toll, wenn du mitkämst.«
    Sicher. Supertoll. Wahrscheinlich würde ich dann zwischen Anton und seiner Mutter sitzen, während die tanzende Erdbeere mir bei jeder Pirouette böse Blicke zuschleuderte.
    »Ja, gerne, aber äh leider«, hatte ich gesagt. »Leider kann ich am Samstag nicht. Eine alte Freundin kommt zu Besuch.«
    Dafür hatte Anton natürlich Verständnis.
    In Wirklichkeit hatte kein Schwein Zeit für mich. Anne besuchte mit ihrem hundsgemeinen Mann und den Kindern ihre Schwiegereltern, Mimi und Ronnie gingen nicht ans Telefon (obwohl ich bei ihnen Licht sah, als ich später ins Bett ging - ich hoffte auf eine lange, ausgiebige Versöhnung der beiden), und Trudi war irgendwo mit ihrem neuen, geheimnisvollen Lover verschollen. Es war so unvernünftig, den Typen niemandem vorzustellen, keiner wusste, wie er hieß und wo er wohnte. Man konnte nur hoffen, dass es kein Psychopath war, der sich Kleider aus Frauenhaut nähte oder so. Ich sah mich schon auf der Polizeistation sitzen und schluchzend stammeln: »Ich weiß nur, dass er in einem seiner vorigen heben Ramses III. geheißen hat.« Ich sprach Trudiauf den Anrufbeantworter, dass sie sich dringend bei mir melden solle, falls sie die Nacht überleben solle.
    Den ganzen Samstag verbrachte ich mit dem Abrupfen der Tapete in meinem Schlafzimmer. Sie war olivgrün mit dunkelgrünen und moosgrünen Kreisen. Ich hegte den Verdacht, dass der ständige Anblick dieser Tapete die Ursache für den Lungenkrebs war, der meinen Schwiegervater dahingerafft hatte. Die Tapeten und die filterlosen Zigaretten, von denen er täglich zwei Päckchen geraucht hatte.
    Ich hatte vor, das Schlafzimmer zumindest teilweise in einem leuchtenden Rubinrot zu streichen. Das sollte gut sein für den Kreislauf Ich hatte allgemein einen eher niedrigen Blutdruck. Trudi, die neben vielen anderen Ausbildungen auch eine Ausbildung zur Feng-Shui-Beraterin gemacht hatte, hatte mir zu einem beruhigenden himmelblauen Farbton geraten, in Rot, sagte sie, könne man nicht gut schlafen. Aber an Schlaf dachte ich bei der Renovierung, zugegebenermaßen, weniger. Ich dachte mehr an Anton, und wenn ich an Anton dachte, dann dachte ich eben rubinrot und nicht himmelblau. Ich musste unbedingt auch für eine indirekte Beleuchtung sorgen, dimmbar, wenn's irgendwie ging.
    Abends war das letzte Zipfelchen Tapete endlich abgekratzt, und ich briet mir recht lieblos ein paar Scampi in der Pfanne und telefonierte dabei mit meinen Eltern, das obligatorische Samstagstelefonat. Es verlief immer gleich: Ich erzählte, was es Neues von den Kindern gab, und sie erzählten, wie das Wetter auf Pellworm war. Ich hatte kein besonders inniges Verhältnis zu meinen Eltern, und sie keines zu mir. Weil ich keine elf Jahre mehr alt war, konnte ich ganz gut damit leben. Ich aß meine Scampi mit Reis ganz schlampig im Wohnzimmer vor dem Fernseher, im Schneidersitz auf der weißen Couch. Im Fernsehen kam nichts Fesselndes, deshalb holte ich mir einen Block Papier und machte eine Liste. Eine Liste machen ist eine Tätigkeit, die Ordnung ins Leben bringen kann, das hatte ich während meines Psychologiestudiums gelernt. Ich hatte schon einen Haufen Listen in meinemLeben gefertigt, Listen mit Dingen, die ich noch erledigen musste, Listen mit Dingen, die ich noch erledigen wollte, Listen mit Dingen, vor denen ich keine Angst mehr haben wollte, Listen mit Büchern, die ich verliehen und nie wiederbekommen hatte, Listen mit

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