Die Patin
Lieblingssongs, die ich unbedingt mal auf eine einzige CD gebrannt haben wollte, Listen mit Namen, die ich meinen Kindern auch gerne gegeben hätte, Listen mit Orten, an die ich reisen wollte, Listen mit Dingen, die ich Lorenz mal hatte antun wollen, und so weiter und so fort.
Pro Anton schrieb ich oben auf das Blatt. Und direkt darunter: Erstens: Ernsthafte Gefühle (von meiner Seite). Zweitens: Aussicht auf guten Sex. Auf ein anderes Blatt schrieb ich: Kontra Anton und darunter: Erstens: Emily. Zweitens: Seine Mutter. Drittens: Trägt sogar bei Wanderungen Anzug und Krawatte.
Ich kaute nachdenklich am Stift. Das war einer der Nachteile, wenn man sich mit Mitte dreißig verliebte: Alle Menschen, einschließlich man selber, waren schon durch vorhergehende Beziehungen entscheidend geprägt, wenn nicht sogar völlig verkorkst. Und das erschwerte natürlich die Partnersuche ungemein. Ich sollte froh sein, dass ich Anton schon so gut wie fest an der Angel hatte, und aufhören, mir über so blöde Kleinigkeiten wie Krawatten oder Kinder Gedanken zu machen. Denn wie war das noch mit Frauen über 35? Die wurden doch eher von einem Meteoriten erschlagen, als einen Mann zu finden, oder so ähnlich.
Und ich wollte auf keinen Fall von einem Meteoriten erschlagen werden, bevor ich nicht wenigstens meine Unschuld verloren hatte. Wenn ich Anne und Mimi glauben durfte, war ich nämlich sexuell so unerfahren, dass ich quasi noch als Jungfrau durchgehen konnte. Und auch wenn ich fand, dass sie ein bisschen übertrieben (welche Jungfrau hat schon zwei Kinder?), hatten sie im Ansatz schon Recht: Sex war der bisher am meisten vernachlässigte Bereich meines Lebens (abgesehen von Schachspielen, Rettungsschwimmen und Singen ...). Und dabei sollte er so gesund sein, den Teint verbessern, die Laune, die Ausstrahlung,die Beckenbodenmuskulatur - und er war umsonst! Schon allein deshalb sollte ich eine Beziehung mit Anton eingehen, ohne großartig Listen über unsere Kompatibilität zu führen: Ich musste auch mal an meine Gesundheit denken.
Am nächsten Morgen stand ich früh auf, um mit dem Streichen der Wände zu beginnen. Ich deckte das Bett mit einer Plastikfolie ab und mich selber mit einem Overall, der schon zahlreiche Kleckse in den unterschiedlichsten Farben aufzuweisen hatte. So sehr ich das Tapetenabkratzen verabscheut hatte, so sehr liebte ich das Streichen. Mit jedem Auf und Ab der Farbrolle veränderte sich der Raum ein Stück weit mehr. Aber ich kam nicht weit. Die Wand war nicht mal zu einem Drittel rot, als es an der Tür klingelte.
Es war Trudi.
»Gott sei Dank!«, rief ich aus. »Du lebst.«
»Und wie ich lebe«, sagte Trudi und küsste mich überschwänglich. »Ich schwebe! Ich habe endlich meine andere Hälfte gefunden, Constanze. Den Text zu meiner Melodie. Den Wein zu meinem Kelch. Das Licht zu meinem Schatten. Den Mond zu meiner Sonne. Den Schwengel zu meiner Pumpe.«
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte ich. Während ihres pathetischen Vortrags hatte ich Trudi zurück ins Schlafzimmer gelotst. Ich konnte genauso gut dabei streichen, die angerührte Farbe trocknete sonst aus. »Wie heißt er denn, der Mond zu deinem Kelch? Ich meine, das solltest du uns wenigstens verraten, damit wir ein paar Anhaltspunkte haben, wenn die Polizei nach dir sucht.«
»Du meinst, wie er jetzt heißt? In diesem Leben?«
»Ja, das meinte ich«, sagte ich.
»Peter. Peter Sülzermann«, sagte Trudi mit verklärter Stimme. »Alter? Beruf? Wohnhaft in?«, fragte ich.
»Oh, Constanze, das ist ja wieder mal typisch!« Trudi lachte. »Du solltest fragen, ob er mich zum Lachen bringt oder ob er auf meinem Körper spielen kann wie auf einem Instrument. Ja, und das kann er! Es ist einfach himmlisch. Er ist ...«
»... der Schwengel zu deiner Pumpe, ich weiß«, sagte ich. »Dein letzter Pumpenschwengel hat sich zwanzigtausend Euro von dir geliehen und ist damit abgehauen.«
»Nicht abgehauen«, sagte Trudi. »Jakob hat damit ein Reiki-Zentrum in Mecklenburg-Vorpommern eröffnet, wie du sehr wohl weißt.«
»Hast du das Geld jemals wiederbekommen? Und was nutzen dir lebenslange Gratis-Reiki-Behandlungen, wenn du dafür immer erst fünfhundert Kilometer weit fahren musst«, sagte ich.
»Mit Peter ist es ganz anders als mit Jakob«, sagte Trudi. »Er ist übrigens Werbekaufmann, wenn dich das beruhigt. Sehr erfolgreich. Willst du die Wand wirklich rot streichen, Constanze? Ich meine, das ist doch das Kopfende deines Bettes. Da ist es,
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