Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Patin

Titel: Die Patin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
Vom Netzwerk:
ein Vermögen gekostet. Ich streichelte über die Figuren und schämte mich. Anton hatte es so lieb gemeint. Er konnte ja nicht ahnen, dass ich diese blöde Schachgeschichte nur erfunden hatte, um seinerTochter zu imponieren. Warum nur hatte ich mir nichts anderes ausgedacht?
    Johannes versteckte einen hellen und einen dunklen Bauern hinter seinem Rücken und ließ mich eine Hand wählen. Ich erwischte den hellen Bauern.
    »Du fängst an«, sagte er. Auch das noch. »Und denk dran, ich habe ewig nicht gespielt, also sei nicht so streng mit mir.«
    »Keine Sorge«, sagte ich. Diesbezüglich konnte er nun wirklich mit meinem Großmut rechnen. Ich war mir nicht ganz sicher, wie ich die Figuren aufstellen musste, aber ich guckte einfach bei Johannes ab. Und wer von den beiden Großen war jetzt die Dame und wer der König? Leider hatte keiner von ihnen eine geschnitzte Krone oder einen Busen oder so. Ich entschied, die Figur mit dem Kreuz oben drauf zum König zu machen.
    »Bereit?« Johannes sah mich aufmunternd an.
    Ich nickte. So ähnlich musste sich die arme Marie-Antoinette auf dem Weg zum Schafott gefühlt haben. Aber es half ja alles nichts. Ich schob einen beliebig ausgewählten Bauern zwei Felder weiter vor, denn soweit ich mich erinnern konnte, durften die Bauern anfangs immer zwei Felder vorrücken. Das musste man doch ausnutzen.
    »Aha, die Englische Eröffnung«, sagte Johannes und schob seinerseits einen Bauern vor. Warum war er denn so schnell? Normalerweise überlegten die Schachspieler doch stundenlang, bevor sie eine Figur bewegten. Manche Partien gingen sogar über Jahre, oder etwa nicht?
    Ich ließ mir auf jeden Fall Zeit mit dem nächsten Zug.
    »Ich weiß nicht, wo er euch immer auftreibt«, sagte Johannes.
    »Was?« Ich blinzelte ihn erschreckt an.
    »Euch Intelligenzbestien«, sagte Johannes. »Antons Frauen haben immer einen Intelligenzquotienten so hoch wie der Mount Everest. Jane zum Beispiel war auf einem Internat für Hochbegabte, sie hat in Harvard studiert und spielt Violine, wie Einstein. Sie verdient fünfhunderttausend Pfund im Jahr und spricht vier Sprachenfließend. Ach ja, und sportlich ist sie natürlich auch noch: klassisches Ballett und Golfen mit einem Handikap wie die Profis. In ihrer Gegenwart komme ich mir immer wie ein armes Würstchen vor. Zumal sie auch noch atemberaubend gut aussieht.«
    Ich starrte angestrengt auf das Schachspiel. Jedes Mal, wenn von Antons Exfrau die Rede war, brach mir der Schweiß aus.
    »Das tust du allerdings auch«, sagte Johannes. »Wenn auch auf eine völlig andere Weise. Rein äußerlich könnte der Kontrast gar nicht größer sein. Jane ist klein, du groß, sie ist dunkel, du hell ...«
    »Außerdem spiele ich weder Violine noch Golf«, krächzte ich und zog den Nachbarbauern auf das Feld schräg hinter meinen Pionier. »Und ich verdiene auch keine fünfhunderttausend Pfund im Jahr. Und mein Vater hat definitiv keinen Sitz im britischen Oberhaus. Ich glaube, er ist nicht mal mehr Mitglied im schleswig-holsteinischen Bauernverband.« Johannes guckte ein bisschen erstaunt, aber ich konnte mich nicht mehr bremsen, es war so befreiend: »Hat Anton nicht gesagt, dass ich keinen Beruf habe? Nur ein abgebrochenes Studium. In meiner Gegenwart braucht sich niemand wie ein armes Würstchen zu fühlen, denn das Würstchen bin ich selber.«
    Johannes ließ seinen Springer auf das Spielfeld hoppeln. »Das unterscheidet dich von Jane: Sie spricht niemals über ihre Schwächen.«
    »Vielleicht, weil sie keine hat«, sagte ich.
    »Hm, ja, möglicherweise«, sagte Johannes und lächelte mich an. »Aber soviel ich weiß, hat Jane niemals eine Schachmeisterschaft gewonnen. Und Rettungsschwimmerin ist sie auch nicht.«
    Ich aber leider auch nicht, dachte ich trübsinnig und ließ einen weiteren Bauern vorrücken. Eine V-Formation war immer gut, bei Löwen und im Schach.
    »Nanu«, sagte Johannes, offensichtlich erstaunt. Wahrscheinlich gehörte die V-Formation nicht zur Englischen Eröffnung. Aber Hauptsache, es sah so aus, als würde ich alles mit voller Berechnung tun.
    »Die Großmeister-Oblomow-Variante«., murmelte ich, weil Oblomow außer Gorbatschow der einzige russische Name war, der mir auf die Schnelle einfiel. Dann fiel mir leider auch ein, woher ich den Namen kannte: Oblomow war der Typ aus dem gleichnamigen Roman, der den ganzen Tag im Bett herumlag. Alle, die ich kannte, hatten das Buch in der Schule durchgenommen. Ich warf Johannes einen prüfenden

Weitere Kostenlose Bücher