Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
Bardin war hier. Sie hat sich über Reisende erkundigt, die man in diese Richtung hatte ziehen sehen. Ich sagte, dass ein Flickschuster auf Wanderschaft bei mir gewesen wäre. Etwas anderes zu behaupten hätte keinen Sinn gehabt«, fügte er hastig hinzu, »weil die Barden immer bereits Bescheid wissen. Es gibt stets welche, die bereitwillig zu den Barden rennen. Jedenfalls erklärte ich ihr, dass Ihr bereits abgereist wärt. Dann meinte sie, dass sie Gerüchte darüber gehört hätte, mein Sohn sei krank gewesen und geheilt worden. Ich habe darüber gelacht. Ich sagte ihr, Rose geriete immer schnell in Panik bei dem Jungen, es sei aber nichts Ernstes gewesen. Daraufhin bedachte sie mich mit einem komischen Blick. Dann wollte sie wissen, ob ich den Barden Cadvan mit einem jungen Mädchen als Reisegefährtin gesehen hätte. Ich antwortete, dass ich Herrn Cadvan so gut wie jeden Barden kenne und es mir stets eine Freude wäre, ihn in meiner Herberge willkommen zu heißen, ich ihn aber seit drei Jahren nicht mehr gesehen hätte. Danach ging sie.«
Er setzte ab. Cadvan musterte ihn mit ausdruckslosen Zügen. »Ich bin sicher, der Barde Cadvan empfindet es stets als Vergnügen, in einer solch feinen Herberge zu übernachten«, sagte er. »Und er ist immer dankbar für Verschwiegenheit.« »Es scheint mir jedenfalls ratsam für Euch, heute Abend in Euren Zimmern zu bleiben«, meinte Dringold. »Wenn Ihr versteht, was ich meine. Zur Magd habe ich gesagt, Ihr wärt schon fort.«
»Wir beabsichtigen, vor dem ersten Tageslicht aufzubrechen«, erwiderte Cadvan. »Also sollte es kein Problem geben.« Er bedachte Dringold mit einem plötzlichen, herzlichen Lächeln; der Herbergswirt grinste überrascht zurück und verneigte sich. »Das denke ich auch, Herr Cadvan. Ich bin sehr dankbar, dass Ihr hier wart«, sagte er und ging.
Als die Tür sich schloss, drehte sich Maerad vor Beklommenheit der Magen. Eingelullt von den kleinen Vergnügungen des Tages hatte sie vorübergehend vergessen, in welcher Gefahr sie schwebten, und nun kehrten ihre Ängste verstärkt zurück; unwillkürlich musste sie an die leichenblassen Hände und die wie rote Kohlenglut leuchtenden Augen des Untoten denken.
»Sollten wir nicht sofort abreisen?«, schlug sie vor.
»Das könnten wir, aber ich bezweifle, dass wir viel dadurch gewönnen«, entgegnete Cadvan. »Unsere Tarnung wird bis morgen zum Sonnenuntergang halten. Die Barden von Ettinor wissen nicht, nach wem sie Ausschau halten müssen; im Augenblick suchen sie noch Cadvan.«
»Können wir dem Herbergswirt vertrauen?« Maerad erhob sich und begann, durch das Zimmer zu wandern. »Könnten die Barden nicht von ihm erfahren, dass wir hier sind, selbst wenn er es gar nicht verraten will?«
»Das hängt davon ab, wie misstrauisch sie sind. Ich glaube, sie werden in viele Richtungen die Fühler ausstrecken; es gibt keinen besonderen Grund, weshalb wir ausgerechnet hier sein sollten. Ich wünschte, ich wüsste, was genau sich in Inneil zugetragen hat… Es besteht eine gewisse Gefahr, aber es widerstrebt mir, unausgeschlafen in die Wildnis hinauszuziehen; das blüht uns später noch zur Genüge. Ich glaube, wir müssen dieses Wagnis eingehen.«
Doch Maerad sprudelte bereits eine weitere Frage hervor. »Was ist mit Dringold? Gerät er nicht selbst in Gefahr, indem er uns schützt?«
»Du scheinst mir heute Nacht sehr angespannt zu sein«, meinte Cadvan stirnrunzelnd. »Ich denke, Dringold ist schlau genug, um die Fragen der Barden von Ettinor abzuwenden. Vergiss nicht ihren Hochmut. Einen gemeinen Herbergswirt unterschätzt man leicht, wenn man sich für etwas Besseres hält. Wenn wir morgen aufbrechen und uns heute Nacht schön leise verhalten, sollte keine Gefahr drohen. Aber zur Sicherheit werde ich einen Schutzbann errichten, bevor wir gehen.«
Cadvans Antworten zerstreuten Maerads Befürchtungen ein wenig, dennoch lag sie in jener Nacht lange wach, da sie außerstande war, das bedrohliche Bild der Untoten abzuschütteln. Am Ende schlief sie dann doch ein, aber ihre Träume waren erfüllt von schwarzen Reitern, die mit fahlen, knochigen Händen nach ihr griffen. Sie erwachte in der Schwärze vor dem Morgengrauen, vernahm auf das Dach prasselnden Regen und seufzte. Widerwillig schleppte sie sich aus dem warmen Bett, zog sich an und schauderte dabei in der Kälte. Besonders kalt erschien ihr das Kettenhemd, als sie es über die Kleider streifte. Unwillkürlich fröstelte sie: Es fühlte sich an,
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