Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
murmelte sie mit erstickter Stimme. »Wenn er mich nicht unterrichtet hätte …«
Cadvan sah sie an. »Du hast ihn nicht getötet«, entgegnete er mit einem rauen Beiklang in der Summe. »Es ist nicht deine Schuld, dass es auf der Welt Böses gibt.« Unvermittelt, fast so, als fürchtete er sich davor, was er sagen könnte, setzte er ab und seufzte schwer. »Ich muss immerzu daran denken, dass es ein nur den Barden bekanntes Wissen gibt, wie man sich selbst ohne Waffen tötet. Wenn alle anderen Mittel ausgeschöpft sind, um sich gegen das Eindringen in ihren Geist zur Wehr zu setzen, greifen sie manchmal darauf zurück.« Eine lange Weile schwiegen beide. Maerad fragte sich, was er mit dem Eindringen in ihren Geist meinte. »Es ist unaussprechlich entsetzlich«, meinte Cadvan schließlich, »darauf zu hoffen, dass Dernhil sich selbst getötet hat, statt sich von diesen Kreaturen des Bösen meucheln zu lassen; dennoch hoffe ich genau das.«
Ohne weitere Worte zu wechseln, setzten sie den Weg fort. Bald erblickten sie wieder Kargan, der auf sie zuflog. Wie zuvor landete er auf Cadvans Arm.
»Die Straße ist sicher, Meister Cadvan«, berichtete er. »Ich habe die Tiere gefragt, und sie haben es mir erzählt. Vor drei Nächten sind zwei Finstere hier vorbeigekommen, sagten sie, und der Wald regte sich. Nun aber stören nur die Menschen aus Inneil die Ruhe des Weges.«
»Danke, Meister Kargan«, erwiderte Cadvan herzlich. »Ich stehe tief in Eurer Schuld. Bitte übermittelt Fürstin Silvia, dass es uns wohlergeht, außerdem unseren Dank und unsere Liebe, und bestellt ihr, dass wir den Gau bald hinter uns gelassen haben werden.«
Der Rabe erhob sich in die Lüfte und flog Richtung Inneil davon. Cadvan hob zum Abschied den Arm. Dann wandte er sich Maerad zu.
»Die Finsternis ist uns dicht auf den Fersen«, sagte er. »Von jetzt an müssen wir fliegen wie der Wind. Imi, esterine ni ?«
Die Stute schnaubte und stampfte mit dem Fuß, dann preschten sie in vollem Galopp los. Die Berge fegten an ihnen vorbei, die Straße erstreckte sich pfeilgerade vor ihnen, und bald waren sie durch die Ausläufer der Hügel hindurch und am Ende des Gaus. Vor ihnen breitete sich das weite Land von Annar aus, durch das der schillernde Fluss sich wie eine silbrige Schlange wand.
Nachdem sie das Tal ein gutes Stück hinter sich gelassen hatten, verringerte Cadvan die Geschwindigkeit. Trotz allen guten Willens war Imi von Schweiß überzogen und begann allmählich zu stolpern. Sie legten eine kurze Rast ein, begaben sich zum Fluss hinab, um die Pferde zu tränken, streckten die Beine aus und verspeisten hastig das Mittagessen, das Marta an jenem Morgen für sie eingepackt hatte.
War das tatsächlich an diesem Morgen gewesen, dachte Maerad bei sich, denn ihr schien es eine Ewigkeit her zu sein. Die Landschaft erstreckte sich als leicht geneigter Hang vor ihnen, dahinter ragten die in Wolken gehüllten Berge auf. Abgesehen davon herrschte klarer Himmel, sodass die Sonne ihnen den Rücken wärmte und den Schweiß von den Pferden dampfte. Der Imlan verlief breit und fließend zu ihrer Linken, tauchte bald in Einschnitte ab, schlängelte sich bald träge zwischen flachen Ufern hindurch. Zu ihrer Rechten lag ein mächtiger Wald aus hohen Eichen und Eschen. Die Straße führte den Fluss entlang, allerdings gerader, ohne jeder seiner Biegungen und Schlaufen zu folgen. Hier bestand sie aus ebenem Stein mit niedrigen Steinmalen daneben.
Als sie weiterritten, erklärte Cadvan: »Die Annarener haben diese Straße angelegt, als vor neun Jahrhunderten die ersten Schulen gebaut wurden. Solche Straßen verbinden alle Schulen miteinander, obwohl einige kaum noch benutzt werden und verfallen sind. Die Weststraße erstreckt sich bis nach Norloch, außerdem gibt es die Nordstraße, die Südstraße und andere in alle Sieben Königreiche.«
Sie ritten ein paar Meilen weiter, dann blickte Cadvan nach vorn und zurück, um sich zu vergewissern, dass niemand sie beobachtete, und führte sie auf einen kleinen Seitenpfad, der bald im Wald verschwand. Kühle umfasste sie. Das Sonnenlicht drang fleckig durchbrochen durch die Wipfel, und Maerad sah im Vorüberreiten Eichhörnchen die Baumstämme hinauf huschen. Auf einer Lichtung hoppelte ein Hase mit wackelndem weißen Schwanz zwischen die Bäume, als sie sich näherten. Viele der Stämme wiesen eine beachtliche Breite auf, und die hohen Kronen der mächtigsten Bäume nahmen die Fläche eines großen Hauses
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