Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
noch nicht bemerkt hatte, trat aus den Schatten unter den Galerien. Sirkana sprach in schellen Worten auf Pilanel mit ihr. Die Frau nickte, dann bedeutete sie Maerad, ihr aus der Halle zu folgen. Maerad tat, wie ihr geheißen, verwirrt sowohl von ihrer Befragung als auch von ihrer raschen Entlassung. Sie hatte das Gefühl, als wäre sie mitten hinein in eine Unterhaltung gestolpert, die sie eigentlich verstehen sollte; stattdessen glotzte sie nur großäugig wie ein Fisch und konnte ihr nicht folgen.
Aber wenigstens war ihr zum ersten Mal seit Tagen warm. Und vielleicht würde sie sich sogar richtig waschen können.
Maerad wurde in eine kleine Kammer geführt, die abseits der höchsten Galerie lag. Die Frau, die sie hinbrachte, sprach kein Annaren, aber mit Gesten gelang ihnen eine Art Verständigung. Maerad fand heraus, dass der Name der Frau Zara lautete. Zara wiederum, die eindeutig eine praktisch veranlagte Frau war, verstand, dass Maerad sich gerne waschen und auch etwas zu essen wollte. Sie verschwand, und Maerad stellte endlich das Bündel ab, das sie zwei Wochen lang vom Osidh Elanor aus getragen hatte. Seufzend rieb sie sich die Schultern. Sie fühlte sich zu müde, um auszupacken. Nun, da sie angekommen war, schien sich ein bleiernes Gewicht der Erschöpfung auf ihre Schultern gesenkt zu haben. Nach einem ausgiebigen Gähnen sah sie sich in der Kammer um. Sie wirkte behaglich und heimelig, zumal sie sich in unmittelbarer Nähe zum Kamin des Feuers im Erdgeschoss befand. Wie der Hauptsaal war sie gänzlich mit Holz getäfelt. In dieser Kammer zierten Bildnisse von Wölfen, Füchsen und Eulen in einem schneebedeckten Fichtenwald die Wände. Die unwirkliche Darstellung der gemalten Tiere erregte Maerads Aufmerksamkeit: Es war unverkennbar, worum es sich handelte, aber der Künstler hatte keinen Versuch unternommen, sie naturgetreu erscheinen zu lassen. Stattdessen gingen ihre Formen weitgehend auf die geometrischen Muster zurück, mit denen die Pilanel ihre Kleider und Wagen verzierten. Die Einrichtung in der Kammer bestand lediglich aus einem schmalen, mit Fellen belegten Bett, einem Stuhl und einer großen, schlichten Zedernholztruhe.
Zara kehrte leise zurück und brachte Silberkrüge mit nach Rosen duftendem Wasser mit, einen siedend heißen und einen kalten, dazu eine große silberne Waschschüssel und einige Kleider. Bevor sie ging, breitete sie auf dem Bett sorgsam einige warme Wollgewänder wie jene aus, die Sirkana getragen hatte. Sie waren purpurrot gefärbt; selbst in Thorold hatte Maerad nie eine solche Farbe gesehen. Aus der respektvollen Art, mit der Zara mit der Kluft umgegangen war, erahnte Maerad, dass es sich um kostbare Kleider handelte, und als sie darüber streichelte, stellte sie fest, dass sie aus besonders weicher, feiner Wolle bestanden. Sie waren unverkennbar mit größter Sorgfalt gewoben worden; selbst bei genauer Betrachtung konnte Maerad keinerlei Nähte sehen. Entweder war das Gewand mit bewundernswerter Geschicklichkeit oder aus einem Stück gefertigt worden. Die Berührung des weichen Stoffes vermittelte ihr das Gefühl einer Ehre, deren volles Ausmaß sie nicht verstand. Maerad goss Wasser in die Waschschüssel, und mit unaussprechlicher Erleichterung wusch sie sich zum ersten Mal seit Wochen richtig. In der Schüssel hatte sich ein Stück weiche Seife befunden, die sie für ihr Haar verwendete. Da sie nicht wusste, was sie mit ihren dreckigen Kleidern machen sollte, faltete Maerad sie zusammen und legte sie auf den Boden, damit sie nicht das Bett beschmutzten. Anschließend zog sie sich das Gewand über den Kopf. Es erwies sich nicht nur als weicher als jeder Stoff, den sie bisher berührt hatte, sondern auch als wärmer. Sie setzte sich aufs Bett und begutachtete ihre Beine. Die Füße hatten sich den langen Marsch aus den Bergen hindurch gut gehalten, aber ihre Stiefel waren arg in Mitleidenschaft gezogen worden; Maerad glaubte nicht, dass sie eine weitere Wanderung überstehen würden. Sie fragte sich, ob es möglich sein würde, in Murask ein neues Paar zu erstehen, dann fiel ihr ein, dass sie nur ein paar Annaren-Münzen besaß, um sich etwas zu kaufen, denn Cadvan hatte den Geldbeutel bei sich getragen. In den Schulen hatten sie nie etwas zu kaufen brauchen - als Barden hatte man ihnen alles gegeben, was sie benötigten -, hier jedoch befand sie sich in keiner Schule. Maerad beschloss, sich dieses Problem für einen anderen Tag aufzuheben, und begann stattdessen mit
Weitere Kostenlose Bücher