Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
neigte zum Abschied den Kopf und verließ das Zimmer.
Auf dem Weg zurück zu ihrer Kammer bog sie nur einmal falsch ab. Unterwegs nahm sie die vielfältigen Geräusche eines Bardenhauses wahr - das Gemurmel von Unterhaltungen in fernen Räumen, draußen lachende Menschen, Musiker, die irgendwo ein Duett spielten, einige junge Barden, die in ein Streitgespräch vertieft waren. Ein Hunger, den sie zuvor kaum gespürt hatte, stieg schmerzlich in ihr auf. Musik! Wann hatte sie zuletzt gespielt? Sie konnte sich nicht daran erinnern.
In ihrem Zimmer angekommen, ergriff Maerad die Leier und begann, die Saiten zu zupfen, zunächst willkürlich, dann hingebungsvoller. Sie war außer Übung. Maerad spielte ein paar Tonleitern, dann stimmte sie eine Weise an, die sie einst von einigen Spielleuten in Ettinor gehört hatte - nach Bardenmusik war ihr an jenem Abend nicht zumute. Es war ein Klagelied über einen Mann, der sich in einen Wassergeist verliebt hatte. An den Text konnte sie sich nicht richtig erinnern, daher erfand sie eigene Worte, nachdem sie die Melodie zu ihrer Zufriedenheit beherrschte. Sie sang das Lied zweimal durch und spürte, wie ihre Anspannung während des Spielens abflaute. Dann gähnte sie ausgiebig, legte die Leier behutsam beiseite und bereitete sich aufs Bett vor.
Drittes Kapitel
Der gebrochene Pakt
Das goldene Licht eines Spätsommermorgens spielte über dem Garten vor Maerads Zimmer. Sie saß allein im Schatten und genoss die Brise in ihrem Gesicht. Vögel stritten in den Bäumen, und Maerad setzte ihre Gabe ein, um sie müßig zu belauschen. Vögel, dachte sie, sind wirklich hirnlos. Sie sagen andauernd nur: Mein! Mein! Mein! Geh weg! Geh weg!
Sie ließ die Sprache der Vögel wieder zu hübschem Gezwitscher zurückkehren, das wesentlich angenehmer anzuhören war, und atmete den Duft des Gartens ein. Schmerz suchte sie heim, o solcher Schmerz. Ihre Seele glich einer einzigen offenen Wunde.
Es war so herrlich, alleine in einem wunderschönen Garten zu sitzen, sich nicht schmutzig, erschöpft, kalt, verängstigt oder von der Finsternis verfolgt zu fühlen. Doch nun, da ihr ein wenig Frieden beschieden wurde, erwachten all diese beunruhigenden Gedanken in ihr. War sie dem Wissen darum, wen sie tatsächlich verkörperte, näher gekommen? Sie hatte zwar all diese neuen Namen - einst war sie nur Maerad gewesen, dann Maerad von Pellinor und inzwischen Elednor von Edil-Amarandh, die Feuerlilie, die gekommen war, um sich der Finsternis zu widersetzen -, aber was bedeuteten sie wirklich? Und nun befand sie sich auf einer Suche, hatte die Aufgabe, das Baumlied zu finden. Anhand der Worte der Stimme aus ihren Zukunftsträumen hatten sie entschieden, dass sie nach Norden reisen mussten; aber hier, in diesem hübschen Garten, schien das ein äußerst fadenscheiniger Grund. Und wonach suchten sie überhaupt? Nicht einmal Nelac wusste es.
Was bist du ?, überlegte sie bei sich, womit sie Nerilis Frage vom Vorabend wiederholte. Eine Laune der Natur?
Sie hatte schon eine ganze Weile vor sich hin gegrübelt, als eine Tür entlang des Vorbaus sich öffnete und Cadvan herausspähte. »Maerad! Guten Morgen!« Er kam zu ihrem Tisch. »Wie ich sehe, hast du deine Zeit klug genutzt«, meinte er mit einem Blick auf die leeren Teller. »Ist der Kaffee noch heiß?« »Kaffee?«
»Das Getränk. Kaffee.« »Nein.«
»Schade. Ich habe eine ziemliche Schwäche dafür. Es ist ein Getränk aus Suderain. Außer hier ist es in Annar selten anzutreffen. Aber in Thorold treibt man Handel mit dem Süden.«
»Mir schmeckt es«, erklärte Maerad. »Aber es ist etwas stark.«
»Ein wenig wie die Thorolder selbst, was?«, meinte Cadvan lächelnd. Er zog sich einen Stuhl an den Tisch und setzte sich.
Gesellig schweigend saßen Cadvan und Maerad eine Weile da und betrachteten den Garten. Maerad spielte mit dem Gedanken, ihn wegen Nerili zu fragen, entschied sich jedoch letztlich dagegen. Sie bezweifelte, dass er ihr etwas erzählen würde, zudem wollte ein anderer Teil ihrer selbst es gar nicht genau wissen.
»Es ist herrlich hier«, erklärte sie schließlich. »Ich wünschte, wir könnten ewig bleiben.«
»Das geht nicht«, erwiderte Cadvan. »Und das weißt du auch. Aber wir können auf jeden Fall ein paar Wochen bleiben. Wir brauchen beide eine Rast. Und bevor wir nach Norden aufbrechen, um das Baumlied zu suchen, müssen wir zumindest eine Vorstellung davon bekommen, wonach wir eigentlich suchen. Ich habe vor, einen
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