Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
Maerads anfänglicher Verlegenheit übernahm es Nerili höchstpersönlich, sie in die Kunst der Hohen Magie einzuführen. Teils, so erklärte Cadvan, nahmen sich deshalb die ranghohen Barden ihres Unterrichts an, weil sie ein so ungewöhnlicher Fall war und rasch etwas lernen musste; ein weiterer Grund jedoch war Geheimhaltung. Maerad lief in der Schule unter dem Namen Maerad von Inneil, die mit Cadvan reiste, der zu bekannt war, um zu verschleiern, wer er war.
»Zweifellos werden einige erahnen, dass du Maerad von Pellinor bist«, meinte Cadvan am ersten Abend nach dem Beginn ihres Unterrichts. »Barden sind die schlimmsten Klatschbasen, und deine Ankunft und Aufnahme als Jungbardin in Inneil hat für eine Menge Aufsehen gesorgt: eine Überlebende der Plünderung Pellinors - das waren große Neuigkeiten. Genau wie der Aufruhr, den es gab, als ich mich darum bewarb, dein alleiniger Lehrer zu werden. Trotzdem ist es besser für uns, unauffällig und möglichst unerkannt zu bleiben, selbst hier. Wir sind einfach reisende Barden, die auf Nerilis Einladung die Schule besuchen. Daran ist nichts ungewöhnlich.«
Maerad zuckte mit den Schultern. »Glaubst du, dass es hier Spitzel gibt?« »Der Finsternis, meinst du?«, fragte Cadvan. »Ich glaube nicht, dass es in der Schule Spitzel gibt, aber für uns ist es nirgendwo sicher, und es würde mich überraschen, wenn sich nicht in der Ortschaft welche aufhielten. Vergiss nicht, Busk ist ein Handelshafen, in dem Fremde nicht auffallen. Bisher ist die Kunde aus Norloch noch nicht hier eingetroffen, aber ich bezweifle nicht, dass es bald so weit sein wird. Und dann wird es gefährlich.«
Maerad grübelte darüber nach, was >gefährlich< bedeuten mochte, und wie so oft schwenkten ihre Gedanken zu Hem. Am Vortag hatte Cadvan per Vogel eine Botschaft nach Turbansk geschickt, um Sali-man ihre wohlbehaltene Ankunft in Thorold mitzuteilen. Hem und Saliman mussten gerade auf dem Weg dorthin sein; Maerad fragte sich, wo genau sie sich befinden mochten und ob es ihnen gut ging
Der Unterricht erwies sich als interessant. Bei ihren Sitzungen mit Intatha von Gant verspürte sie anfangs einen Stich im Herzen. Unwillkürlich erinnerten sie Maerad an Dernhil, der ihr als Erster die Tür zur Welt des Lesens und Schreibens geöffnet hatte. Für Maerad war das Lesen selbst untrennbar mit Erinnerungen an ihn verbunden. Zudem stammte Intatha aus derselben Schule wie Dernhil, wenngleich Maerad nie wagte, sie zu fragen, ob sie ihn gekannt hatte.
Intatha war eine beeindruckende Bardin. Sie war groß und besaß hohe Wangenknochen, eine prächtige Adlernase und schwarzes Haar, das sich allmählich silbrig verfärbte. Intatha war eine strenge, aber freundliche Lehrerin. Maerad arbeitete hart für sie, nicht, weil sie Tadel fürchtete, sondern weil Intatha große Erwartungen in sie setzte und Maerad sie nicht enttäuschen wollte. Die alphabetische Schrift von Nelsor erlernte sie sehr rasch, wobei sie auf dem Grundstock aufbaute, den Dernhil ihr beigebracht hatte, und sie fand sogar, dass ihre Handschrift nach und nach ansprechend statt gekritzelt und missgestaltet auszusehen begann. Intatha ging dazu über, sie auch die Ladhen-Runen zu lehren, verschlüsselte Zeichen, die Barden auf Reisen verwendeten, um einander Botschaften zu hinterlassen, außerdem einige der dhyllischen Piktogramme. Es war harte Arbeit, und Maerad verließ die langen Unterrichtsstunden stets gleichermaßen angeregt wie erschöpft - und mit beiden Armen voller Hausarbeit.
Der Unterricht mit Elenxi von Busk gestaltete sich verblüffend lustig. Trotz seines Alters und seiner mächtigen Größe erwies er sich als flink und beweglich, und es überraschte Maerad nicht zu erfahren, dass er in seiner Jugend ein berühmter Krieger gewesen war. Sie konnte sich gut vorstellen, dass er ziemlich furchteinflößend gewirkt haben musste. Im Gegensatz zu Indik, dem Schwertkampfmeister, der sie in Inneil unterwiesen hatte, stellte Elenxi sich als geduldiger und ermutigender Lehrer heraus. Zudem war Maerad keine blutige Anfängerin mehr - es fühlte sich nicht mehr sonderbar an, ein Schwert in der Hand zu halten. Sie zeichnete sich durch rasche Reaktion und einen guten Gleichgewichtssinn aus und war für ihre Größe recht kräftig. Elenxi unterrichtete sie in fortgeschrittener Schwertkunst und unbewaffnetem Kampf, und zum ersten Mal bekam Maerad das Gefühl, sie könnte unter Umständen in der Lage sein, sich bei einem Angriff selbst zu
Weitere Kostenlose Bücher