Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
mir gegenüber von Höflichkeit sprichst«, schleuderte Maerad ihm wütend entgegen.
»Schweig!« Diesmal brachte der Winterkönig die volle Kraft seiner Macht zum Tragen. Maerad fühlte sich, als risse ein Seil heftig an ihr; sie japste vor Schmerz und sank auf die Knie. »Elednor von Edil-Amarandh, ich bin geduldig mit dir gewesen. Ich habe die Schätze meines Palastes vor dir ausgebreitet. Nichts habe ich dir verwehrt. Aber vielleicht ziehst du diese Behandlung vor? Den Wunsch kann ich dir gerne erfüllen.«
Mit geneigtem Haupt sagte Maerad. »Ich verstehe das nicht. Was habe ich denn getan?«
Der Winterkönig stieg vom Podium und kam auf sie zu, dann bückte er sich und umfasste ihr Kinn. Seine Hand fühlte sich kalt wie Eis an, seine Stärke unüberwindlich, doch seine Berührung war zart. Maerad schaute in seine Augen auf und vergaß in einem Anflug von Verlangen schlagartig alles. Sie blinzelte und versuchte, ihr Gesicht zu verstecken, als sie ein Siegesgefühl in Arkans Augen aufblitzen sah.
»Du bist die Feuerlilie«, sprach der Winterkönig leise. »Und ich bin der Eiskönig. Schmilzt Feuer das Eis? Oder löscht Eis das Feuer? Oder können sie sich vereinen, Feuer und Eis, ohne zu schmelzen oder zu erlöschen?« Maerad errötete und wandte die Augen ab. Arkan ließ ihr Kinn los, woraufhin sie das Haupt neigte und zu Boden blickte. Sie zitterte am ganzen Leib, ob vor Furcht oder Verlangen, vermochte sie nicht zu sagen.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte sie schließlich.
»Ich hatte vor, dich als meine Königin zu ehren«, sagte der Winterkönig. Plötzlich schwangen in seiner Stimme Traurigkeit und Sehnsucht mit, als wäre er ein junger Prinz, der von seiner treulosen Geliebten verletzt worden war. »Und im Gegenzug verrätst du mich.«
Maerad taumelte vor Überraschung. Kurz schloss sie die Augen, holte tief Luft und bündelte ihren Willen, schirmte vorsichtig ihren Geist ab. Sie spürte, wie ihr Blut heftig durch den Hals pulsierte. Er weiß nicht, dass ich Macht besitze, dachte sie; jedenfalls ist er nicht sicher. Ganz langsam erhob sie sich, sah Arkan in die Augen und weigerte sich, den Blick zu senken.
»Du sagst, dass Liebe nicht vorgetäuscht und nicht gestohlen werden kann«, begann sie leidenschaftlich. »Und jetzt sagst du, dass ich deine Königin werden soll. Dennoch hältst du mich gefangen, gewährst mir keine Freiheit. Du weißt, wie es sich anfühlt, eingesperrt zu sein. Es ist wie ein Tod. Du meinst zu mir, ich könnte mich nicht vor dir verbergen, und doch bestrafst du mich genau dafür. Du behauptest, nicht zu wollen, dass ich mich fürchte, und dennoch behandelst du mich wie eine Sklavin. Verzeih, Herr«, sprach sie und neigte dabei traurig, zerknirscht und demütig den Kopf. »Ich verstehe deinen Zorn nicht. Ich verstehe nicht, weshalb du mich für etwas bestrafst, von dem du sagst, ich könnte es gar nicht. Ich verstehe deine Liebe nicht, falls dies die Liebe ist, die du mir anbietest.«
Der Winterkönig wirbelte auf dem Absatz herum, und als sie aufschaute, entfernte er sich von ihr. Maerad spürte seine Zweifel, als das Licht im Thronsaal allmählich sanfter wurde und die Schatten verblassten. Er weiß es nicht, dachte sie. Er glaubt immer noch, dass seine Macht genügt. »Ich wünsche keine Sklavin«, meinte er schließlich.
»Ich bin keine Sklavin«, sagte Maerad.
Rasch sah Arkan sie an. »Verzeih, wenn ich dir Angst eingejagt habe«, entschuldigte er sich. »Ich bin den Umgang mit Sterblichen nicht gewohnt, und vielleicht bin ich zu ungeduldig.«
Kaum merklich nickte Maerad.
»Komm, setzt dich zu mir. Lass uns vergessen, dass dies je geschehen ist.« Damit bot er ihr den Arm dar; Maerad lächelte matt und ergriff ihn. Seine Berührung ließ sie schaudern: Nun brannte sie wie Eis.
»Wie ich sehe«, sagte er, »hast du deine Leier mitgebracht.«
»Das habe ich doch versprochen«, erwiderte Maerad. »Ich weiß nicht, wie man die Runen liest.«
Bis sie Platz genommen hatten, schwiegen sie. Maerad fühlte sich bereits erschöpft. Ihr war klar, dass sie Arkan täuschen musste, wenn sie flüchten wollte, doch die einzige Möglichkeit, ihn zu täuschen, bestand darin, die Wahrheit zu offenbaren. Das Problem mit der Wahrheit, dachte sie verzweifelt, ist nur, dass sie wahr ist. Maerad starrte auf seinen Mund, wobei ihr dessen grausame Sinnlichkeit auffiel. Ihn zu küssen, dachte sie, würde sich anfühlen, wie einen Fluss zu küssen; ich würde die Besinnung verlieren und
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