Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe

Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe

Titel: Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
Vom Netzwerk:
Füßen. Was ging hier vor sich? Er spähte zu Nisrah, der immer noch in einem drogenschwangeren Schlaf auf der dreckigen Eingangsstufe lag. Die hässliche Wunde in seinem Gesicht war aufgebrochen. Ein wenig Blut und Eiter quollen unter seinem Auge daraus hervor. Hem betrachtete ihn ohne jede Gefühlsregung: Er empfand weder Mitleid noch Abscheu oder Kameradschaft. Nisrah verkörperte lediglich eine Last, die er mit sich herumschleppte. Dennoch verschwendete Hem keinen Gedanken daran, ihn zurückzulassen, vermutlich bloß deshalb, weil er irgendetwas aus den Trümmern seiner Hoffnung retten musste. Von einer jähen entsetzlichen Einsamkeit erfasst wandte er sich ab. Aus einer wilden Eingebung heraus und ohne Hoffnung auf eine Antwort entsandte er einen Ruf zu Irc. Zu seinem Erstaunen erfolgte fast sofort eine Erwiderung. Wo bist du gewesen?, zischte Irc in seinem Geist. Ich habe nach dir gesucht und gesucht…
    Ircs unverhoffte Antwort hatte Hem aus der Fassung gebracht; sowohl entzückt als auch voll Angst um Irc stammelte er: Ich - ich konnte dich nicht früher rufen. Bist du in Dagra?
    Ja, ja, bestätigte Irc ungeduldig. Natürlich bin ich in der Stadt. Aber wo bist du ? Ich weiß es nicht, erwiderte Hem verzweifelt. Ich habe mich verirrt.
    Eine Pause entstand, und Hem vermeinte kurzzeitig, er hätte die Verbindung verloren. Dann jedoch kehrte die Stimme der Krähe leicht gedämpft wieder. Kannst du den großen Turm sehen?, wollte Irc wissen.
    Ja.
    Beweg dich davon weg, mit der Sonne auf der Schwerthand. Wo immer du bist, du wirst auf eine dieser großen Straßen stoßen, und sieführen alle zu den Mauern, die Mauern wiederum zum Tor. Dort treffen wir uns, am Tor. Horch auf meinen Ruf. Aber…, setzte Hem verwirrt an.
    Wir treffen uns dort. Es ist schwierig, die Gedankenberührung aufrechtzuerhalten, hier ist so viel böse Magie. Erst konnte ich dich nicht finden und dachte schon, du wärst tot…
    Während Irc sprach, teilte ein grüner Blitz den Himmel, begleitet von einem Gestank solcher Hexerei, dass Hem taumelte, seine Sinne sich wie betäubt anfühlten. Ein großer Sturmnaht. Beeil dich … Ircs Stimme wurde leiser, dann verschwand sie völlig. Verängstigt versuchte Hem, die Verbindung wiederherzustellen, doch die Stadt toste vor Hexerei, die ihm den Geist verbrannte, und er konnte Irc nicht hören. Der Wind schwoll an; der Sturm hatte Hem fast erreicht. Er zögerte kurz, dann zog er das Kurzschwert und schüttelte Nisrah heftig, versuchte, ihn zu wecken. Der Junge grummelte, stieß ihn weg, aber dann schlug er die Augen auf. »Steh auf«, sagte Hem. Nisrah öffnete den Mund, um zu widersprechen, doch Hem riss grob an seinen Fesseln, und der Junge rappelte sich benommen auf die Beine. Er starrte Hem mit einer Verwirrung an, die rasch in Wut umschlug.
    »Was hast du … ? «
    »Geh.« Hem drückte die Spitze seiner Klinge in Nisrahs Rücken. »Wenn du etwas Dummes versuchst, töte ich dich.«
    Zu Hems Erleichterung tat Nisrah missmutig, wie ihm geheißen. Er wusste nicht, ob er in der Lage gewesen wäre, mit Nisrah zu kämpfen und gleichzeitig den Glimmerschleier für sie beide aufrechtzuerhalten. Sie marschierten die Gasse hinab, weg vom Ehernen Turm, hinein in eine sich verfinsternde Nacht.
    Es war schwierig, das Richtungsgefühl nicht zu verlieren. Ziemlich häufig verlor Hem den Ehernen Turm völlig aus den Augen, und manchmal schien es, als liefen sie im Kreis, während sie sich den Weg durch Gassen bahnten, die wenig mehr als schwarzen dreckigen Spalten zwischen hohen Türmen glichen. Immer wieder landeten sie in Sackgassen oder, schlimmer noch, stellten fest, dass sie dem Ehernen Turm näher als zuvor gekommen waren. Die Seitenstraßen von Dagra waren beunruhigend menschenleer: Nur vereinzelt begegneten sie Gestalten, die in den zuckenden Himmel aufschauten, während sie in einen Unterschlupf eilten, doch das war alles. Hem war über Müdigkeit, über Gedanken hinaus: Er bestand nur noch aus einer einzigen Absicht, der Entschlossenheit, sich zum Tor durchzuschlagen, um sich mit Irc zu treffen. Die Frage, was sie tun würden, wenn er dort eintraf, verdrängte er; Hem hatte noch keine Ahnung.
    Nisrah lief vor ihm und sprach kein Wort. Einmal versuchte er zu flüchten, indem er einem Mann zurief, der an ihnen vorbeiging, und sich zu Boden warf und herumrollte, um sich Hems Griff zu entwinden. Die Riemen schnitten brennend in Hems Finger; er hechtete hinter Nisrah her und hielt ihm den Mund zu,

Weitere Kostenlose Bücher