Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
geschafft, und laut Saliman würde dies so bleiben: Die Hafenverteidigung war schier unüberwindlich. Allerdings zehrten die Beutefahrer an Turbansks Stärke und ermüdeten die Streitkräfte noch vor dem Hauptangriff. Obendrein fürchtete Saliman, dass nach dem Fall Baladhs eine gestohlene Flotte aus dem Hafen von Baladh in See stechen könnte, um einen Großangriff zu unternehmen.
Wegen des Krieges hatte Saliman noch nicht einmal Zeit gehabt, um Hem, wie versprochen, zu den Lamar-Fällen in den Höhlen von Lamarsan mitzunehmen, dem geheiligten Herzen des Lichts in Turbansk, das er als eines der Weltwunder bezeichnet hatte. In anderen Zeiten hätten sie vielleicht gemeinsam mit Maerad hinreiten können … Rasch verdrängte Hem jegliche Gedanken an seine Schwester: Sie waren zu schmerzlich.
»Wird es je wieder Frieden geben?«, fragte er ein wenig traurig.
»Selbstverständlich.« Saliman lehnte sich zurück und schloss die Augen, und dabei wurde Hem klar, wie erschöpft er in Wahrheit war. Die Haut unter seinen Augen schien purpurn wie ein Veilchen, und sein Gesicht wirkte abgezehrt. Hem fragte sich, wann Saliman zuletzt geschlafen hatte; er hätte zu wetten gewagt, dass es länger als zwei Tage zurücklag. »Wenn nicht zu meinen oder deinen Lebzeiten, dann zujemand anderes.«
Hem, den Salimans Antwort bedrückte, erwiderte nichts; Saliman öffnete ein Auge und starrte ihn an. »Verzeih mir, Hem; ich sollte nicht scherzen. Ich bin so müde, und dabei hat der Sturm noch nicht einmal begonnen.«
»Du musst dich ausruhen«, gab Hem streng, mit seiner neuen Befehlsgewalt als Heiler zurück.
Saliman lächelte matt. »Wir sind bald bereit«, erwiderte er. »Dann werde ich mich ausruhen. Ein kurzes Weilchen.«
Im Verlauf der nächsten Tage rückte die schwarze Rauchfahne im Osten näher, und die Heilhäuser leerten sich allmählich. Alle Kranken mussten Turbansk verlassen, selbst die Schwerverletzten, obwohl Hem die Anspannung in den Gesichtern der Heiler sah, als die Menschen auf die eigens angefertigten Bahren gelegt wurden, mit denen sie befördert würden. Er wusste, dass sie nicht bewegt werden sollten, verstand aber auch, dass sie unmöglich in Turbansk bleiben konnten. Viele Heiler gingen mit ihnen, um sie während der langen Reise nach Car Amdridh zu versorgen, wenngleich Oslar und Urbika zu jenen gehörten, die zurückblieben, und urplötzlich gab es für Hem kaum noch etwaszu tun. Gelangweilt und einsam, aber zu niedergeschlagen, um hinauszugehen, verbrachte er einen Tag im Bardenhaus und spürte, wie ein Gefühl der Schicksalsergebenheit in ihm wuchs. Seine Geduld schien zusammen mit seiner Arbeit in den Heilhäusern geendet zu haben, und er zeigte sich sogar Irc gegenüber reizbar. An jenem Abend fragte er, ob er am nächsten Tag bei Saliman bleiben dürfte. »Vielleicht könnte ich dir ja helfen«, meinte er. »Und auch Irc hat sich in den Heilhäusern wirklich nützlich gemacht…«
Saliman musterte Hems Züge. »Eskönnte so langweilig wie alles andere werden, was du hier tun könntest«, gab er zurück. »Aber ja, ich hätte selbst daran denken sollen. Es ist ein wenig bedrückend, ganz alleine darauf zu warten, dass ein Krieg über einen hereinbricht. Selbstverständlich darfst du mitkommen.«
So wurde Hem am nächsten Tag zu Salimans Schatten, wie damals während seiner ersten Woche in Turbansk, nur saß diesmal ein weißer Vogel auf der Schulter des zierlichen Jungen. Die Barden, Hauptmänner und Stadträte erhoben keine Einwände, wenngleich sie ihn selten bemerkten, und die Übelkeit erregende Panik, die sich in Hems Bauch zu regen begonnen hatte, legte sich ein wenig. Wenn er in die Gesichter der Männer und Frauen blickte, die so leidenschaftlich redeten, wenn er ihre Entschlossenheit und Stärke betrachtete, konnte er sich nicht vorstellen, dass sie besiegt werden könnten.
Als Mitglied des Obersten Bardenzirkels, einer der herrschenden Vereinigungen von Turbansk, trug Saliman die Verantwortung über viele Aspekte der Verteidigung der Stadt, und am Ende des Tages verstand Hem allmählich, weshalb Saliman so müde wirkte. An jenem Tag nahm er an mehreren Besprechungen in der Schule und im Ernan teil - dem großen Palast, der sich anmutig unter dem Schatten des Roten Turmes erstreckte -, hörte sich Berichte von Kundschaftern und der Hauptmänner an, die auf dem Lamarsan-Meer die Beutefahrer mit Feuerbooten angegriffen hatten, und beratschlagte sich mit den anderen Oberhäuptern von
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