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Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe

Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe

Titel: Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
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sehen: über die Gipfel des Osidh Am nach Norloch und über ganz Annar. Winzige Gestalten marschierten in Reihen die Bardenstraßen entlang, während über der gesamten Landschaft Rauchsäulen aufstiegen, und Hem wusste mit gefrorenem Herzen, dass in Annar Krieg herrschte. Furchtsam spähte er nach Osten gen Den Raven und erblickte Verwüstung, so weit das Auge reichte: Haine, Felder, Dörfer und Städte waren niedergebrannt und zerstört. Dann schienen die Wolken in der Ferne sich zu lichten wie Nebel in der Morgensonne, und er sah deutlich ein verkleinertes Abbild der Zitadelle von Dagra an den Ufern eines Sees mit schwarzem stillem Wasser. Hem schauderte in den Klauen der Vision: Er wollte nicht mehr hinschauen, konnte aber nicht anders. Dagra war wie die Schulen Annars halbkreisförmig angeordnet. Gerade Straßen, die von einem Turm in der Mitte ausgingen, verbanden kreisrund verlaufende Prunkwege. Der Ort erstreckte sich über die Füße hoher, felsiger Berge von der Farbe geronnenen Blutes. Die Hauptstraßen säumten hohe, schmucklose Steintürme, dahinter wimmelte es in einem Gewirr kleiner Straßen und Gassen vor Wohn- und Arbeitshäusern, trostlosen Gebäuden mit schmalen Schlitzen als Fenstern, flachen Dächern und zumeist vielen Geschossen mit seltsamen Ausbuchtungen, wo der ursprüngliche Bau um zusätzliche Räume ergänzt worden war.
    Weit und breit wuchs nichts Grünes, um den Stein und Staub aufzulockern, und als einziges Gewässer floss ein dünner, dunkler Fluss in den schwarzen See. Auf den Straßen wimmelte es von Leibern. Widerwillig folgten Hems Augen den speichenartig angeordneten Straßen zur Nabe: Er wusste, dass sich im Mittelpunkt der Eherne Turm befand, die Festung des Namenlosen. Ihr finsterer, mit Zinnen gekrönter Schatten erstreckte sich über die traurige Stadt zu ihren Füßen, und selbstjener Schatten erfüllte Hem mit solcher Abscheu, dass ihm übel wurde. Doch ein unbekannter Wille lenkte seine Augen, und letztlich schaute er auf und sah hin.
    Der Eherne Turm war auf den Wurzeln des Osidh Dagra errichtet, des Dagra-Gebirges, und er überragte die umliegenden Ebenen. Er wirkte höher als jeder Turm, den Hem kannte, höher sogar als jener von Norloch. Schwaden giftiger Dämpfe umringten ihn und verfärbten die Strahlen der Sonne, sodass sie bleigrau auf die Stadt darunter fielen. Verstrebt mit mächtigen Eisenflügeln erhob sich das Bauwerk von einem breiten Sockel aus zerklüftetem Basalt, der aufgrund von Eisenoxid rot schimmerte, empor. Zinnenreihe türmte sich auf Zinnenreihe, Mauer auf Mauer, bis hin zu einem einzigen hohen Wachturm. Während über Norloch der Machelinor thronte, der Turm der Lebendigen Flamme, dessen kristallene Spitze von weit draußen auf dem Meer zu erkennen war, ragte vom Ehernen Turm eine riesige Klinge auf, die mit einem sengenden, grünlichen Licht gleißte, wenn das besudelte Licht sich darin fing. Hem ereilte der Eindruck, dass der Eherne Turm und Norloch irgendwie dasselbe zu sein schienen, und der Gedanke erfüllte sein Herz mit schmerzlichem Grauen. Maerads Stimme zerschmetterte die Vision, und plötzlich war Hem wieder mit ihr alleine. Sie standen nicht mehr im Roten Turm, sondern in einem Garten, den er nicht kannte. Es ist tatsächlich so, sagte Maerad in der Hohen Sprache. Sowohl die Finsternis als auch das Licht sind Spiegelbilder des menschlichen Herzens.
    Traurig sah sie ihn an, und Hem, erfüllt von einer hilflosen Liebe, für die er keine Worte fand, beugte sich vor, um sie zu umarmen, nicht nur, um selbst Trost zu suchen, sondern auch, um den Kummer zu lindern, der aus ihren Zügen sprach. Aber als er die Arme ausstreckte, erspähte er hinter ihrer Schulter Gestalten mit Kapuzen und schrie auf: Drei Untote mit einem roten Licht in den Augen strecken sich vorwärts und fassten mit weißen, knochigen Händen nach Maerad. Wo Hems Hände Maerad hätten berühren sollen, schlossen sie sich um Luft. Sie war verschwunden, und mit ihr die drei Untoten und der Garten. Hem befand sich alleine an einem dunklen Ort auf einem Steinboden und schluchzte.
    Ruckartig, die Wangen noch nass vor Tränen, erwachte er, starrte blicklos ins Leere und setzte sich im Bett auf. Sternenlicht schimmerte durch die Fensterlaibung matt in seiner Kammer. Der Traum war ihm noch lebendig gewahr, erfüllte ihn mit einer seltsamen Verzweiflung, die sich fast sanft anfühlte; es war keiner seiner üblichen Albträume des Grauens und Erstickens gewesen, zudem hatte er noch

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