Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
Hems Kinn an, sodass der Junge gezwungen war, ihm in die Augen zu blicken. »Hem«, sagte er sanft in der Hohen Sprache. »Sei versichert, dass ich dich liebe, mehr als du vermutlich weißt. Es hat mich viel Überwindung gekostet, dich hier bleiben zu lassen, obwohl sämtliche Streitkräfte der Schwarzen Armee auf diese Stadt zumarschieren. Ich wünsche deinen Tod so wenig wie meinen eigenen.« Hem zeigte sich überrascht. Erfühlte sich nach dem Traum der vergangenen Nacht noch verletzlich und schaffte es nur mit Müh und Not, nicht in Tränen auszubrechen. Saliman hatte noch nie etwas so offen zu ihm gesagt, und obwohl sich Hem nach Salimans Liebe sehnte, schmerzte sie ihn auch, zumal er nun noch mehr fürchtete, Saliman könnte nicht zurückkehren: Vielleicht war dies eine Art Abschied.
Zelika hatte dem Wortwechsel ungeduldig gelauscht; sie verstand nicht, was Saliman gerade gesagt hatte. »Das gilt nicht für mich«, warf sie hitzig ein. »Ich gehe nicht weg. Ihr müsstet mich schon fesseln und in ein Fass stecken, um mich auf ein Schiff zu bekommen.«
»Wie dem auch sein mag«, sagte Saliman ruhig, jedoch in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete, »falls ich aus II Dara nicht zurückkehre, werdet ihr Turbansk verlassen.«
Zelika presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, entgegnete aber nichts mehr. Hem spähte aus dem Augenwinkel zu ihr und fragte sich, was sie tun würde.Er bezweifelte, dass irgendjemand Zelika gegen ihren Willen zu etwas bewegen könnte. Hem und Zelika ließen den Vormittagsunterricht ausfallen. Saliman brach kurz nach dem Frühstück nach II Dara auf und verabschiedete sich im Garten von den Kindern. Während Hem auf ihn wartete, sah er sich mit neuen Augenin dem Garten um, den er lieben gelernt hatte. Der Garten schien unerträglich zerbrechlich, als könnte er im nächsten Augenblick hinfort gefegt werden, und diese Vision ließ die Farben klarer, die Umrisse schärfer, seine Schönheit überwältigender wirken. Obwohl es bereits warm zu werden begann, war es im Garten noch kühl, und so würde es bis zum Abend bleiben; durch zahlreiche breitblättrige Bäume und blühende Ranken herrschte reichlich Schatten. Vögel und einige kleine, goldene Affen schnatterten in den Bäumen. In der Mitte, umgeben von weißem Marmorpflaster, befand sich ein Teich, in dem etliche goldene Fische schwammen, deren Flossen träge unter Wasserkrokussen schlugen. Uber den Garten verteilt standen mehrere Bänke, auf denen sich für gewöhnlich junge Schüler einfanden, die miteinander plauderten oder lernten, doch nun war der Garten abgesehen von Hem und Zelika menschenleer, was seiner Pracht einen Hauch von Wehmut verlieh. Da Hem nicht nach Reden zu Mute war, wartete er am Teich und starrte trübsinnig in das klare Wasser.
Bald betrat Saliman den Garten, in der vollen Rüstung der berittenen Sonnengarde von Turbansk. Er trug einen Harnisch aus gehärteten, blau bemalten Keramikschuppen, und seine Arme wurden von blau gefleckten Lederarmschienen geschützt. Auf seiner Brust und dem goldenen Helm, den er unter dem Arm trug, prangte das goldene Sonnensymbolvon Turbansk. Das geflochtene Haar hatte er sich mit Lederriemen aus dem Gesicht zurückgebunden. An seiner Hüfte hing ein Kurzschwert, über den Rücken hatte er sich einen Bogen geschlungen, und er trug einen Rundschild, der mit Albarac ausgekleidet war, um Hexerei abzuwehren. Der Schild wies das Symbol einer sich aufbäumenden goldenen Schlange auf, das Wappen seiner Familie. Uber allem trug er einen purpurnen Leinenmantel.
Die Rüstung ließ Saliman wie einen Fremden erscheinen. Hem stand auf und wischte sich die plötzlich verschwitzten Hände am Kittel ab. Er fühlte sich regelrecht eingeschüchtert.
Wortlos ergriff Saliman Hems Hand; Hem blickte auf die dunklen, anmutigen Finger, die seine umschlossen, hinab und spürte, wie ihm ein Kloß in den Hals stieg. »Ich beabsichtige, übermorgen zurück zu sein«, sagte Saliman. »Schwör mir, dass du tun wirst, was ich verlange, und Turbansk verlässt, wenn ich bis zum Ende des dritten Tages nicht hier bin.«
»Aber du wirst zurückkommen«, entgegnete Hem heftig.
»Das habe ich vor«, bestätigte Saliman lächelnd. Es war jenes Lächeln, das Hem am meisten liebte, das Lächeln, das einen Scherz oder eine unterhaltsame Geschichte ankündigte. Einen Augenblick sah Saliman aus, als quälten ihn keinerlei Sorgen. »Also fürchte nicht zu sehr um mich; ich bin zäher, als ich aussehe ! Was
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