Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
sich die beiden Kinder angewöhnt, das Frühstück ‘schweigend und gähnend zusammen einzunehmen. Sie bereiteten sich gerade darauf vor, den Ernan zu verlassen, als Saliman den Raum betrat. Er trug volle Rüstung und schien in großer Eile.
»Gut, ihr seid noch hier«, stellte er kurz angebunden fest. »Ihr werdet heute in den Heilhäusern gebraucht werden; Oslar muss Vorkehrungen treffen, um sämtliche Verwundeten in den Hafen tragen zu lassen. Danach kehrt ihr hierher zurück und wartet. Ich komme euch holen.«
»Wird es regnen?«, fragte Hem und fühlte sich dumm, kaum dass die Worte seinen Mund verlassen hatten.
»Ja«, antwortete Saliman. »Allerdings bezweifle ich, dass die Wolken schon heute aufbrechen werden. Es wird eine schlimme Nacht werden. Oslar wird euch beim dritten Glockenschlag zurückschicken, und es wird eine Mahlzeit für euch bereitstehen. Ich will, dass ihr hier wartet, bis ich eintreffe.«
»Was ist, wenn Ihr nicht kommt?«, wollte Zelika wissen, als Saliman sich zum Gehen wandte. Ihre Stimme erklang dabei schneidend und angespannt. Dieselbe Frage hatte Hem auf der Zunge gelegen, doch er hatte nicht gewagt, sie zu stellen. »Was, wenn Euch etwas geschieht?«
»Wenn ich nicht komme, um euch zu holen, dann jemand anders. Habt keine Angst. Legt eure Rüstung an und packt, was ihr mitnehmen wollt. Haltet euch bereit.« Er drehte sich um, sah Hem eindringlich, mit verkniffener Miene an und sagte in der Hohen Sprache: »Nun beginnt es endlich, Hem. Wir haben keine Zeit für Trauer, Kummer oder Angst. Wenn du mich liebst, tust du, was ich möchte, und erinnerst dich daran, dass ich dich liebe und du für mich stark sein musst. Wenn ich nicht zurückkehre, kümmert sich jemand anders um euch. So das Licht will, sehen wir uns heute Abend. Erwartet mich in der finstersten Stunde.«
Mit plötzlich trockenem Mund nickte Hem. Saliman wandte sich um und verschwand zur Tür hinaus.
»Was hast er gesagt?«, verlangte Zelika zu erfahren.
»Er hat gemeint, dass es beginnt und wir tun müssen, was er sagt«, antwortete Hem, der Saliman nachstarrte. Unweigerlich zitterte seine Stimme. Vielleicht war es das, dachte er. Diesmal glaubt Saliman wirklich, dass er in den Tod gehen könnte. Und er hat sich gar nicht richtig verabschiedet…
Zelika schürzte die Lippen. »Wird aber auch Zeit«, brummte sie. Dann brach Hem mit ihr zu den Heilhäusern auf, wobei er sich fühlte, als bestünden seine Beine aus Wasser. An jenem Tag war kein Gefühl des Friedens zu verspüren; stattdessen herrschte überall geordnetes, aber emsiges Treiben. Verwundete wurden auf Bahren gehoben unddurch die Gassen zum Hafen hinabgetragen, während andere, frisch Verwundete von den Mauern herbeigebracht wurden. Krankenpfleger luden riesige Vorratskörbe auf Esel. Hem hatte auf Anhieb alle Hände voll zu tun, indem er Madran verteilte und Glieder verband, damit sie durch die Beförderung nicht zusätzlich verletzt wurden. Dabei fiel ihm auf, dass die Verbände, die man ihm gab, aus eigenartigem Material statt aus ungefärbtem Musselin bestanden.
»Unsere Vorräte gehen zur Neige«, bekam er zur Antwort, als er sich erkundigte, weshalb er Verbände mit Blumenstickereien darauf verwenden sollte. »Ich sage, wir brechen keinen Tag zu früh auf.« Hem nickte trübsinnig und brachte die unpassend fröhlichen Verbände in die Mohnkammer. Viele der dort Untergebrachten sollten, wie er fand, überhaupt nicht bewegt werden.
»Besser, als in den Betten gemeuchelt zu werden, Hem«, meinte Urbika barsch, als Hem sich bestürzt von einer schwer verletzten Frau abwandte, die vor Schmerzen stöhnte. Er hatte ihr bereits so viel Madran verabreicht, wie er wagte. Urbika schenkte Hem ein verkniffenes Lächeln. »Es lässt sich nicht ändern, zumal die Schwarze Armee uns vertreibt.«
»Ja, ist wohl so«, meinte Hem stockend.
Urbika drückte kurz seinen Arm, dann ging sie zum nächsten Soldaten weiter. Irc, der wie üblich auf Hems Schulter kauerte, knabberte liebevoll an seinem Ohr. Etwas getröstet kraulte Hem den Vogel am Hals und holte tief Luft. Er belegte die Frau mit einem Schlafbann und hoffte, es würde zusammen mit dem Madran nicht zu viel für sie sein, dann beaufsichtigte er die Pfleger, die sie auf die Bahre hoben. Anschließend ging er zur nächsten Aufgabe über. Er fühlte sich schwindlig; alles schien viel zu schnell vonstatten zu gehen, nach einer schieren Ewigkeit, in der sich überhaupt nichts ereignet hatte. Und doch hatte sich so
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