Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
ganzen Tag in den Bardenhäusern beschäftigt gewesen war, hatte er keine Gelegenheit gehabt herauszufinden, was im Rest von Turbansk vor sich ging, und Soron steckte voller Neuigkeiten. Die zur Ablenkung entsandte Streitkraft, welche die Schwarze Armee angreifen sollte, würde von Har-Ytan höchstpersönlich angeführt werden, berichtete er Hem.
»Woher wisst Ihr das?«, fragte Hem erstaunt. »Ich dachte, der Angriff wäre ein Geheimnis. Weiß inzwischen jeder darüber Bescheid?«
Soron lachte. »Nein, nicht jeder. Trotzdem ist Turbansk eine Stadt, die Gerüchte und Klatsch liebt; mich würde nicht überraschen, wenn mittlerweile nach außen gedrungen wäre, dass heute Nacht etwas passieren soll.«
Dann kam Hem ein anderer Gedanke. »Saliman sagte, dass jeder getötet werden würde, der an dem Angriff teilnimmt.«
Soron setzte eine düstere Miene auf. »Ihre Aussichten stehen schlecht, so viel ist sicher, doch ich bin überzeugt davon, dass nicht alle sterben werden. Sie greifen schließlich nur an, um sich gleich wieder zurückzuziehen. Weißt du, als Baladh unterging, verkündete Har-Ytan, dass sie mit Turbansk stehen oder fallen würde. Und sie hat sich für Letzteres entschieden, wenn es sein muss. Aber sie wird eine entschlossene Gemeinschaft von Kriegern anführen, viele von ihnen die besten unserer Offiziere. Und selbst unter ihnen gilt Har-Ytan als mächtige Kriegerin. Sie werden nicht einfach zu besiegen sein, selbst von solchen Streitkräften, wie die, die uns bedrängen.«
Als Hem sich Har-Ytans statuenhafte Gestalt vor Augen rief, fiel es ihm nicht schwer zu glauben, dass sie eine große Kriegerin war. »Aber Ihr habt mir noch nicht verraten, woher Ihr es wisst«, hakte Hem nach. »Wart Ihr dabei, als der Angriff geplant wurde?« »Nein, so bedeutend bin ich nicht«, gab Soron mit einem missbilligenden Lächeln zurück. »Nein, ich weiß es aus anderen Gründen.« Kurz setzte er ab und bedachte Hem mit einem Seitenblick. »Als Har-Ytan verkündete, dass sie die Armee anführen würde, rief sie ihre Söhne zu sich und übergab ihrem Erben, Ir-Ytan, den Rubin der Ernani, das Zeichen ihrer Macht. Er sollte der neue Ernani werden, sofern Turbansk nach dieser dunkelsten aller Nächte jemals wieder erstrahlt.«
Hem erinnerte sich an seinen ersten Anblick von Har-Ytan im prunkvollen Thronsaal des Ernan: Sie hatte dagestanden, als wäre sie in eine lebendige Flamme gehüllt, und der große Rubin hatte auf ihrer Stirn gefunkelt. Scharf sog er die Luft ein und spürte, wie entsetzlicher Kummer in ihm aufstieg.
»Dann glaubt sie, dass sie sterben wird«, stellte er mit tonloser Stimme fest. »Sie gehört zu den tapfersten Ernani, die je über diese Stadt geherrscht haben«, erwiderte Soron. »Sie stellt sich dem Tod ohne Furcht. Als ich aus Til-Amon nach Turbansk kam und zum ersten Mal der Ernani vorgestellt wurde, dachte ich, dass ich noch nie eine so wunderschöne und so Furcht einflößende Frau gesehen hatte. Ja, der Gedanke an ihr Verscheiden bricht mir das Herz. Ich bin froh, eine solche Frau kennen gelernt zu haben.« Er schwieg eine Weile, ehe er fortfuhr. »Nun ja, wie ich schon sagte, sie hat den Rubin an Ir-Ytan weitergereicht, woraufhin Mundar, ihr Konsorte, völlig die Fassung verlor.«
»Er verlor die Fassung?«, fragte Hem neugierig nach und dachte an den trägen, verwöhnten jungen Mann, dem er nur kurz begegnet war und den er nicht mochte. »Ich glaube, er wusste nicht, dass Har-Ytan dies vorhatte. Und trotz all seiner Unzulänglichkeiten - denn ich zähle Mundar nicht zu meinen Lieblingen - liebt er Har-Ytan mit ganzem Herzen und aus tiefster Seele. Im Gegensatz zu einigen anderen in seiner Lage ist es bei ihm nicht bloß Selbstsüchtigkeit, die ihn hier hält. Er hat sich die Kleider zerrissen und die Haare gerauft, den Kopf gegen die Mauern geschlagen, bis ihmBlut in die Augen lief. Ich habe so etwas noch nie erlebt - selbst Har-Ytan war nicht in der Lage, ihn zu beruhigen.«
Hem starrte Soron erstaunt an; er konnte es sich nicht vorstellen. »Beim Licht! Er schien mir gar nicht… Ich meine, ich hätte nicht gedacht…«
Soron lächelte ein wenig traurig. »Du bist noch sehr jung, Hem. Aber ich hoffe, du wirst nie Anlass haben, solchen Kummer zu empfinden.« Hem bedachte Soron mit einem fragenden Blick, der dem Barden jedoch entging; insgeheim dachte der Junge, dass er genug über Kummer wusste, auch wenn er noch sehr jung sein mochte. Doch er schwieg.
»Jedenfalls«, fuhr Soron
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