Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
ertrinken«, meinte Hem.
»Wart’s ab«, gab Soron zurück, drehte sich Hem zu und grinste den Jungen an. »Es wird nicht lange dauern.«
In jenem Augenblick vernahm Hem einen deutlichen Trompetenstoß. Nicht das derbe Getöse der Trompeten der Schwarzen Armee, sondern eine Abfolge heller, melodiöser Noten, auf die fast unmittelbar eine weitere folgte. Als die Laute erstarben, schienen sie in seinem Geist widerzuhallen, als entstammten sie einem fließenden, in Silber an den dunklen Himmel geschriebenen Notenblatt. Soron legte den Kopf schief, lauschte und holte tief Luft.
»Har-Ytans Fanfare«, erklärte er. »Nun denn, möge das Licht mit ihr und all jenen sein, die mit ihr kämpfen.«
Hem beschlich eine kalte Angst, als wären seine Eingeweide plötzlich von einer gähnenden Leere verdrängt worden. Er schärfte sein Bardengehör, konnte die Geräusche, die er wahrnahm, jedoch nicht deuten; es handelte sich nur um eine verworrene Abfolge grollenden Donners.
Nach einer scheinbaren Ewigkeit erklang ein weiterer, lang gezogener und lauter Donnerschlag, dann ein Knall, der ebenfalls Donner hätte sein können, es jedoch nicht war. Hem starrteSoron an. Ein Flächenblitz, der den gesamten Himmel bedeckte, tünchte seine Züge in harsches Licht. »Was war das«, fragte er.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Soron.
»Es hat sich angehört - als ob das Tor gefallen wäre«, meinte Hem leise. Qualvoll lauschend stand er da, die Augen dunkel und furchterfüllt.
»Vielleicht.« Soron wischte sich abermals übers Gesicht. Er mochte die Hitze nicht und schwitzte reichlich und unbehaglich. »Das ist schwer zu sagen.«
»Glaubt Ihr, sie haben das Westtor durchbrochen?« Mit großen, in der Dunkelheit flüssig wirkenden Augen drehte Hemsich Soron zu.
»Könnte sein«, meinte Soron gefasst. »Wir werden es bald herausfinden.« »Wo steckt dieser Vogel?«, stieß Hem neuerlich hervor. Der Platz auf seiner Schulter, an dem Irc sonst immer hockte, schien durch die Leere zu schmerzen. Wie zur Beantwortung seiner Frage begann es wieder zu regnen, zunächst in Form von ein paar fetten Tropfen, die dunkle Flecken auf den Kacheln neben seinen nackten Füßen bildeten, dann verschmolzen die Flecken ineinander, und das Prasseln schwoll zu einem steten Tosen an. Es ging so schnell, dass Hem völlig durchnässt war, bevor er reagieren konnte. Der Regen stürzte so heftig wie ein Wasserfall herab und prallte wie Gischt vom Boden um ihre Füße zurück. Mächtige Wasserströme ergossen sich vom Dachdes Ernan herab.
Hem und Soron stolperten triefnass zurück ins Haus. Sie hörten nur das Gebrüll des Regengusses und darüber leises Donnergrollen. Im Inneren fühlte es sich an, als wären sie unter Wasser. Es war zwar immer noch warm, doch die entsetzliche Stickigkeit war gewichen.
»Ich habe dir doch gesagt, was kommen würde«, meinte Soron und blinzelte sich Wasser aus den Augen.
»Wie können sie in diesem Guss kämpfen?«, fragte Hem. »Es regnet so heftig, dass man kaum die Hand vor Augen sehen kann.«
»Saliman und Juriken wussten, dass der Regen einsetzen würde«, gab Soron zurück. »Ich denke sogar, sie könnten ihn gerufen haben.«
Kurzzeitig hellte Hems Miene sich auf. »Ja, ich bin sicher, Ihr habt Recht«, sagte er. »Es muss ein Teil ihres Plans gewesen sein.« Dann jedoch dachte er an Irc. »Jetzt kann Irc unmöglich zurückkommen«, meinte er mit trauernder Stimme.
»Er wird es schaffen«, entgegnete Soron freundlich. »Irc ist ein kluger Vogel. Ich bin überzeugt davon, dass er eine Möglichkeit findet. Was Zelika angeht…« »Sollte sie auftauchen, erwürge ich sie mit bloßen Händen«, fiel Hem ihm mürrisch ins Wort und begann, wie besessen an seinen Fingernägeln zu kauen. »Falls sie zurückkommt… «
Er starrte hinaus in die aufgewühlte Dunkelheit.
Wie Hem vermutet hatte, war Irc aufgebrochen, um einen Schatz zu stibitzen, einen Ohrring, den er am Boden in der Nähe der Heilhäuser gesichtet hatte, wo er im trüben Licht geglänzt hatte. Offensichtlich hatte ihn jemand fallen lassen, und der Gegenstand hatte seine Begehrlichkeit geweckt. Spät am Nachmittag, während Hem mit den letzten seiner Patienten beschäftigt gewesen war, hatte Irc sich auf die Suche nach seinem Schatz begeben.
Allerdings war er verschwunden gewesen. Obwohl Irc den gesamten Bereichsorgfältig absuchte, konnte er ihn nicht finden. Mürrisch kauerte er sich auf einen Baum in der Nähe und putzte sich verärgert das Gefieder.
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